Ein toter Punkt wird überwunden

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Jean Pierre Henry (19.10.1772 in Luttange/Lothringen geboren, verschollen in den Napoleonischen Kriegen)

„Wahrscheinlich werde ich nie wissen, wer er wirklich war,“ habe ich 1999 über meinen Vorfahren Pierre Henry geschrieben.
Damals hatte ich alle meine Möglichkeiten erschöpft, etwas über seinen Geburtsort zu erfahren. Im standesamtlichen Protokoll seiner Heirat von 1802 aus Saarlouis war als Geburtsort „Kirche“ angegeben im „Département de la Moselle“, als Wohnort seiner Mutter sogar „Commu­ne de Kirche“. Aber wo sollte ich diese „Gemeinde Kirche“ lokalisieren? Kirsch-les-Sierck, wie mir die Saarländer Genealogen rieten, war es nicht. In den Archives Départementales in Metz las ich das Kirchenbuch – aber dort fand sich in den entsprechenden Jahren keine Familie Henry und keine Dupont. Natürlich hatte ich den Verdacht, dass „Kirche“ der Ortsteil einer Gemeinde gewesen sein müsste – aber wie kann man nach einem Ortsteil suchen, der einen so häufig vorkommenden Namen hat?


Vielleicht kann man an diesem Beispiel gut erklären, wie die Genealogie sich zwischen 1999 und  jetzt erweitert hat. Den ersten neuen Anstoß für diesen „toten Punkt“ erhielt ich von einer entfernten Verwandten, die hauptsächlich im Internet forscht. Sie schickte mir im November 2011 einen Ausdruck aus www.familysearch.org  .
Dort hatte sie unter „France Marriages, 1546 – 1924“ die Hochzeit des Bruders und Trauzeugen meines Vorfahren gefunden. Er hieß Laurent Henry. Für ihn waren die gleichen Eltern angegeben wie für Pierre und als Geburtsort „Kirche Delatange“. Das war nun wieder eine rätselhafte Bezeichnung, die sich in keinem Atlas finden ließ. Aber sie ermutigte mich, unter den Mailinglisten der Computergenealogie die Saarlandliste anzuschreiben und den dort versammelten Forschern mein Problem zu schildern. Das half!
Zwei der regionalen Familienforscher konnten „Kirche Delatange“ als den Ortsteil Kirche des Dorfes Luttange identifizieren und eine von ihnen konnte mir sogar den Link für die Archives Départementales Moselle senden, die inzwischen viele Kirchenbücher digitalisiert haben. So konnte ich im Netz das Kirchenbuch von Luttange/Lothringen lesen und den Taufeintrag meines Vorfahren und seines Bruders, ja, sogar den Heiratseintrag der Eltern der beiden nachlesen.
12 Jahre nach meiner Enttäuschung erlebte ich nun diesen Erfolg.
Eigentlich müsste die Geschichte „Vermutungen über Pierre Henry“ neu geschrieben werden. Aber wenn man diese Biographie liest, stellt man fest, dass sie immer noch hauptsächlich aus Vermutungen besteht. Doch eins weiß ich jetzt: Pierre war kein Heiratsschwindler, er war ein Lothringer Lehrersohn aus einem kleinen Dorf und Laurent war wirklich sein Bruder. Sicher hat er die Lothringer Sprache gesprochen, die auch seine Frau und die Eltern seiner Frau sprachen. Und vielleicht hat er durch seinen Vater, den armen Lehrer von Guélange, der mit seiner Familie bei seinem Schwiegervater, dem Handwerker, in Luttange wohnte, Französisch schreiben und lesen gelernt. Dass Pierre zu den Soldaten ging, mag an seiner Armut gelegen haben. Wie er es zum „officier du génie“ brachte, ist dadurch noch nicht erklärt. Aber er war ein Mensch von Fleisch und Blut.
Die Odyssee meiner Suche nach dem Geburtsort „Kirche“ hat wohl ihren Grund darin, dass die Fränkische Republik, wie sie auf Deutsch genannt wurde, 1798 das Standesamt erfand. Pierre Henry wollte 1802 heiraten, in der Stadt Sarrelibre. Es galt der revolutionäre Kalender, Kirchenbücher waren verboten. Pierre musste einen Geburtsschein beibringen aus seinem Heimatdorf. Wer mag diesen Schein ausgefüllt haben? Dieser Mann schrieb alles richtig aus dem Kirchenbuch ab, vergaß aber zu notieren, dass es das Kirchenbuch von Luttange war!
Dem Standesbeamten von Sarrelibre fiel nichts auf, auch er schrieb alles richtig ab. Luttange fiel unter den Tisch. Dass dieses Versehen für die Familienforscherin 200 Jahre später ein Problem sein könnte – wer hätte das gedacht?