Die Zeit der Revolution von 1848

Drucken

Bis zu den Urgroßeltern – nicht allen, aber einigen von ihnen – reicht noch die erzählte Zeit. Die Großeltern, die man kannte, haben uns von ihren Eltern noch dies oder jenes berichtet. Die Ur-Urgroßeltern aber gehören eindeutig in die Geschichte. Sollte etwas über sie noch mündlich tradiert worden sein, so haben wir es uns schon gar nicht mehr vorstellen können. Und deswegen auch vergessen.

Unsere, d. h. meiner Brüder und meine Ur-Urgroßeltern lebten zur Zeit der 48er Revolution! Das ist wirklich lange her. Die 48er Revolution hat den Ruf, eine fehlgeschlagene Revolution zu sein, ja, man hat behauptet, sie beweise geradezu, dass das deutsche Volk zu einer Revolution nicht fähig sei. Wie es mit vielen Verallgemeinerungen ist, so auch mit dieser: sie verblüfft, weil sie einleuchtet, sie ist nicht ganz wahr, weil sie viele Facetten dieser Revolution außer Acht lässt.

Schauen wir uns doch unsere Vorfahren an: einer, Daniel Benjamin Liebert, ein Bäckermeister in Lissa/Posen, war so revolutionär, dass er sich später im restaurativen Deutschland „nicht wohl und sicher“ fühlte und deswegen nach Amerika auswanderte. Einer, Dr. Adolph Gustav Behn, ein Regimentsarzt, musste 1848 mit seiner jungen Familie von Aachen nach Köln umziehen, weil die Aachener das westpreußische Regiment, zu dem der Arzt gehörte, nicht in ihrer Stadt dulden wollten. Ein andrer, Otto Konrad Ehlert, Getreidekaufmann, legte zu dieser Zeit in Königsberg den Grund zu seinem Vermögen und wieder ein andrer, der Glasermeister Karl Allendorf aus Artern, machte sich um diese Zeit im katholischen Koblenz als Evangelischer selbständig.

Von vielen weiß ich gar nicht, wie sie die Revolution empfanden. In Herongen, wo der Grenzaufseher Franz Mering 1848 tätig war, soll kaum eine Unruhe stattgefunden haben. Die gut katholischen Bauern versprachen sich nichts von Revolution. Johanna Friederike Weisheit und Ernst August Ludwig Eberhardt, Zeugschmiedegeselle in Arnstadt, waren noch gar nicht miteinander verheiratet. Ob sie irgendetwas von der Revolution erfuhren, muss ich noch herauszufinden versuchen. Auch was der Müllermeister Gustav Saur in Guhrau im preußischen Schlesien erlebte, ist mir ganz unbekannt.

Der Kandidat der Theologie Franz Liebscher hingegen erlebte im Jahr 1848 eine herbe Enttäuschung. Seit acht Jahren schon war er fertiger Pfarrer, aber immer noch arbeitslos. Sein Vater, der Superintendent Liebscher, sah gerade 1848 eine Chance, ihn in einer der Gemeinden, die ihm unterstanden, einzusetzen. Aber die Revolution hatte die Kirchgemeinde erfasst. Er habe nichts gegen Franz Liebscher, sagte der Kirchenvorstand, aber dass der Ephorus als Vater seinen Sohn protegiere, das missfalle ihm. Die Gemeinde machte Gebrauch von ihrem Widerspruchsrecht, dass jahrzehntelang nur pro forma bestanden hatte. Der arme Franz blieb noch sieben Jahre arbeitslos und unverheiratet.

 

  1. Zu unserm Ur-Urgroßvater väterlicherseits Franz Mering gibt es meinen Text „Bildnis eines preußischen Grenzaufsehers auf Wachgang an der niederländischen Grenze bei Herongen“ [Franz Mering, geboren am 13. Juni 1803 in Kopenhagen, gestorben am 5. Oktober 1869 in Koblenz] in: GELDRISCHER HEIMATKALENDER 2003, Herausgegeben vom Historischen Verein für Geldern und Umgegend, S. 290. Zu seiner Frau gibt es meinen Text „Die arme Catharina Henry“ [1806 – 1855] in: GELDRISCHER HEIMATKALENDER 2002, Herausgegeben vom Historischen Verein für Geldern und Umgegend, S. 292.

  2. Unser anderer Ur-Urgroßvater väterlicherseits Karl Allendorf kommt vor in meinem Text „Brückenschlag über fünf Generationen: Aus dem Leben von Maria Dorothea Meyer, verheiratete Allendorf“ (1786 – 1856) in Artern in: ARATORA 13, 2003, Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Schutz Arterns, hrsg. von Klaus und Andreas Schmölling, S. ?, der allerdings in erster Linie das Leben seiner Mutter beschreibt. Die Lebensgeschichte seiner Frau Philippine Zimmermann muss noch geschrieben werden.

  3. Über den dritten Ur-Urgroßvater väterlicherseits, den Zeugschmiedemeister Ernst August Ludwig Eberhardt, weiß ich nichts außer seinem frühen Tod an Krämpfen. Über seine Frau Johanna Friederike Weisheit lässt sich sicher noch etwas herausfinden. Ich besitze den Text der Anzeige, mit der sie den Verkauf der gesamten Werkstatt ihres Mannes ankündigt. Und ich weiß, dass sie ihre beiden Kinder als Waschfrau aufzog.

  4. Von dem vierten Ur-Urgroßvater väterlicherseits ist eine Menge Material vorhanden, da er Pfarrer war: seine Zeugnisse, Predigten von ihm, Kirchenbucheinträge. Aber ich habe mich noch nicht daran gemacht, das zu ordnen. Auch über seine Frau aus der bekannten Familie Nathusius ließe sich sicher noch etwas in Erfahrung bringen. Sie muss eine interessante Persönlichkeit gewesen sein. Zuerst musste sie lange auf die Heirat warten, weil ihr Verlobter arbeitslos war. Dann wurde sie verhältnismäßig früh Witwe. Und dann führte sie zusammen mit einem ihrer Söhne offenbar sehr erfolgreich ein Geschäft in Köln und wurde 88 Jahre alt.

  5. Mein Aufsatz über den Ur-Urgroßvater mütterlicherseits Dr. Adolf Gustav Behn ist erschienen in EKKEHARD, Familien- und regionalgeschichtliche Forschungen, Neue Folge 19 (2012), Heft 4 und Neue Folge 20 (2013), Heft 1. Der Text ohne Abbildungen und Fußnoten lässt sich auch auf dieser Homepage lesen unter Behn-Saga. Über seine Frau Julie Zelter weiß ich sehr wenig.

  6. Über meinen Ur-Urgroßvater Otto Ehlert in Königsberg, der seiner Tochter eine so prächtige Mitgift gab, dass Stücke davon noch heute meinen Haushalt zieren, und der dann doch Konkurs anmelden musste, habe ich Kenntnisse dadurch sammeln können, dass die ältere Schwester meiner Ur-Urgroßmutter den Professor Dr. Ludwig Friedländer in Königsberg heiratete. Eine Tochter aus dieser Ehe heiratete den Prof. Dr. Georg Dehio. Der Nachlass dieser Akademikerfamilie befindet sich im Staatsarchiv Marburg und ich konnte darin wertvolle Nachrichten über die Herkunft meiner Ur-Urgroßmutter Helene Ottilie Guthzeit gewinnen. Ergänzt wurden sie durch die „Familienplaudereien“ meiner Großmutter Edith Behn. Zwei Hefte mit Erzählungen über die Familien Ehlert und Behn erhielt ich aus dem Nachlass meiner Tante.

  7. Unser anderer Ur-Urgroßvater mütterlicherseits Gustav Saur, der recht vermögend gewesen sein muss, ist fast ein weißes Blatt. Das evangelische Kirchenbuch von Guhrau ging im Zweiten Weltkrieg ebenso verloren wie das Archiv der kleinen Stadt. Über schlesische Müller wurde anscheinend in den Jahren um 1900 nicht gearbeitet. Ich suche noch nach schlesischen Zeitungen. Von seiner Frau Amalie Matthie schreibt unser Großvater Paul Liebert ein bisschen in seinen Kindheitserinnerungen.

  8. Über den Ur-Urgroßvater Daniel Benjamin Liebert habe ich unter dem Titel Der Revolutionär immerhin einiges herausgefunden. Er lebte in der Provinz Posen, wo preußisch-demokratische und polnisch-nationale Ziele sich mischten. Er scheint am meisten von allen Vorfahren unter dem Scheitern der Revolution gelitten zu haben, er wanderte 1854 nach Amerika aus. Aber es fehlt noch vieles, bevor ich seine Kurzbiographie drucken lassen kann. Und dann: in welchem Organ? Noch schwieriger sieht es mit dem Leben seiner verlassenen Frau aus. Es gibt etwas über sie in den Erinnerungen ihres Enkels Paul und in den Erinnerungen ihrer Enkelin Meta Liebert, und vielleicht finde ich doch noch etwas über sie im Stadtarchiv von Leszno.

Diese acht Ur-Urgroßelternpaare will ich von nun an als Familienstämme behandeln und einzeln in die Vergangenheit zurück erforschen. Sie sind schon räumlich und generationsmäßig recht weit voneinander entfernt. Zwar habe ich versucht, die sechzehn Mütter dieser Paare, unsere Urur-Urgroßmütter noch einmal nebeneinander darzustellen anhand der Napoleonischen Zeiten, die als europäisches Ereignis alle unsere Vorfahren berührt haben. Aber diese Darstellung ist recht anstrengend, für mich wie für den Leser. Zu Vereinfachungen will ich nicht greifen: jede Vorfahrin machte ihre individuellen Erfahrungen, je nach Lebensalter, sozialer Stellung und geographischem Ort. Aber die Fülle der Daten sich vor Augen zu halten, ist ermüdend. Deswegen wähle ich für die weitere Familiengeschichte die Anordnung in Stämmen.