Wenig ist es, was wir über das Leben dieses Vorfahren wissen: Taufdatum, Heiratsdatum, Geburtsdaten der Kinder. Und diese Daten stammen aus Mainz, aus Kirchheimbolanden und aus Kopenhagen und sind so unverbunden miteinander, dass sie uns lauter Rätsel aufgeben.
Aber ein Abschnitt seines Lebens ist hell beleuchtet, wie unter einer Lupe, wir sehen ihn agieren. Und danach versinkt er endgültig ins Rätselhafte.
Franz Joseph Caspar Mering kommt 1814 in seinen Geburtsort Mainz zurück. Mainz, das sich 1793 der französischen Revolution angeschlossen hatte, ist seit April 1814, seit der Abdankung Napoleons, unter österreichisch-bayrischer Verwaltung. Noch ehe Napoleon im Juni 1815 in Waterloo endgültig besiegt ist, wird Franz Mering im Februar 1815 von der Bayrischen Verwaltung der Pfalz eingestellt als „Chaussee Bereiter“, das bedeutet: als berittener Kontrolleur für einen bestimmten Abschnitt der Landstraße.
In der Akte im Landeshauptarchiv der Pfalz steht[1]:
„Etat der in dem Creise von Alzey et Speier, bei dem Wasser-, Weeg- und Brückenbau angestellten Dienst-Personals betreffend
Benennung des Grades der Anstellung: Chaussee Bereiter
Name des Angestellten: Mering
Wohnort desselben: Mainz
Benennung des Wassers, der Straßen, Dämme oder Flüsse: Alzey“.
Immerhin ist er der dritte in der Reihe, nach dem Ingenieur 1. Classe Heffner und dem Conducteur 2. Classe May der einzige Bereiter. Sein Rang wird auch daran kenntlich, dass man bei ihm wie bei den höher Gestellten den Vornamen weglassen kann. Der Chaussee Aufseher Franz Martaller und alle Straßenwärter werden mit Namen und Vornamen bezeichnet. Nach unserm Vorfahren kommt noch ein Chaussee-Aufseher, dann die große Zahl der Straßen Wärter (immerhin 32!)
Nachkriegszeit. Wir kennen das von 1945. Eine Zeit der Erschöpfung nach gewaltigen Ängsten und Anspannungen, eine Zeit der Unsicherheit nach dem Zusammenbruch von Herrschaft, Gesetzen, Verordnungen, eine Zeit der äußersten Armut, aber auch eine Zeit der Erleichterung nach dem Ende von Kampfhandlungen, das Gefühl von Befreiung, aufkeimende Hoffnung und auf einmal ein ungeheurer Drang, aufzubauen. So muss es auch im Straßenwesen der Pfalz gewesen sein. Der Mann der Stunde heißt Ingenieur Bernhard Spatz.
Im Straßenmuseum Germersheim bin ich ihm zuerst begegnet. Er hat 1814 als Angestellter des Straßen – und Flussbauamtes Speyer eine Skizze des Verkehrsnetzes der Pfalz gezeichnet und darauf hingewiesen, wie wichtig die Pflege dieser Errungenschaft aus Napoleons Nachlass sei. Napoleon, fügt die Ausstellung des Museums Germersheim hinzu, habe zwischen 1804 und 1812 doppelt so viel Geld für Straßen ausgegeben wie für Festungsbauten und öffentliche Gebäude in Paris. Spatz setzt sich vehement für die Erhaltung dieses Erbes ein.
In den Akten der Pfalz nach 1814 taucht Ingenieur Spatz überall da auf, wo staatlicherseits organisiert und gebaut werden muss. Er ist ein Pfarrerssohn aus Speyer, hat an der Universität Heidelberg Wirtschaftswissenschaften studiert und ist schon seit 1807 als „Konducteur“ im Dienst der französischen Verwaltung des Donnersberg-Departements. Sein Selbstbewusstsein entstammt der Revolution. „Spatz“ schreibt er unter seine knappen Berichte, seine Ermahnungen, Gutachten, kritischen Anmerkungen. Er ist einer von den vielen, die im nun wieder von Deutschen regierten Land die Vorteile der Demokratisierung und Modernisierung nicht verlieren wollen. Es gibt einen ausführlichen Wikipedia-Artikel über ihn, dort ist auch eine Biographie angegeben.
An der Spitze des Bauwesens der Pfalz steht nicht Spatz, sondern der Ingenieur Oberst und Oberbaudirector des Mittelrheins, Herr von Gergens. Was er vorher gemacht hat, weiß ich ebenso wenig wie ich nachprüfen kann, woher all die Straßenwärter kommen, die nun auf Vorschlag von Ingenieur Spatz eilig eingestellt werden. Die meisten von ihnen werden arbeitslose ehemalige Soldaten sein, ob aus bayrischen, preußischen oder französischen Diensten, oder gar, wie im Fall meines Vorfahren, aus dänischen. Von einigen dieser Straßenbeamten sind die Bewerbungen erhalten: Ein „armer beabschiedeter Feldwebel“ bittet Januar 1814, man möge ihn „mit einem Stückgen Brod begnadigen“. Die Bewerbung von Franz Joseph Caspar Mering habe ich leider nicht gefunden.
Am 15. Oktober 1814 hat Spatz schon das namentliche Verzeichnis der im Kreis Speyer anzustellenden Straßenbereuter, Damm- und Straßenwarten[2] fertig. Chaussee Bereiter ist zu der Zeit Rudolf Wolff. Sein Aufgabenkreis findet sich unter „Bezeichnung der Strecken, welche jeder versehen soll: Die Rheinstraße von Worms bis an die Grenze des Elsaßes, die Straße von Mannheim über Dürckheim biß Franckenstein und die sämtliche Dämme. Bemerkungen: Da nur ein Bereuter in der Organisation ernannt ist, so habe ich hier auch nur einen bezeichnet, ob ich gleich dafür halte, dass der District welchen er versehen soll, für Einen zu groß ist um über alles gehörig nach zu sehen.“
Spatz kann nicht immer so, wie er gern will. Nicht nur die Menschen sind arm, auch der Staat hat viel verloren. Am 12. Dec.1814 teilt Spatz seinen Vorgesetzten mit[3]: „… Auch antworten mir die Straßenwarten, welche ich wegen ihrer Nachlässigkeit schon sehr heftige Vorwürfe gemacht habe, dass sie Armuth halber beinahe nicht im Stande wären täglich auf die Straße zu gehen, weil sie nun schon wieder 3 ½ Monat Lohn zu gut haben und noch mit einem Monat vom Jahre 1813 im Rückstand sind.
Demohngeachtet werde ich sie mit aller Strenge anhalten und die Nachlässigen vorschriftsmäßig bestrafen. Mit vollkommener Hochachtung habe ich die Ehre zu sein Euer Hochwohlgeboren gehorsamster Diener Spatz“.
Spatz kann auch nicht überall sein. Die Chaussee Bereiter sind nicht nur gegen Beschädigungen der Landstraße durch die Nutzer eingesetzt, sondern sie sind auch die Aufseher über die Straßenwarte. Dazu schwören sie einen Eid[4]:
Mainz, 25. Febr. 1815:
„Ich schwöre zu Gott einen körperlichen Eid, dass ich als Chausseebereiter treue und fleißige Dienste leisten, der erhaltenen Dienst-Instruction in allen ihren Theilen und nach ihrem ganzen Umfange getreulich und pünktlich nachkommen, strenge Aufsicht auf das Dienstpersonal, Taglöhner, Steinbrecher, Fuhraccordanten etc. zu halten, das beste des Chausseebaus, so wie des Clerars mit aller Anstrengung beobachten und befördern, auf Chaussee defraudationen mit besonderer Aufmerksamkeit wachen, nichts in seinem Nutzen verwenden oder zueignen, auch jedes Mal der Inspection ohnverzüchlich und getreu anzeigen will, wenn Mängel und Fehler auf der Chaussee oder Unterschleife und defraudationen und überhaupt irgend etwas, es mag bestehen, worin es nur will und zum Nachtheil des Clerars oder des Chausseebaus oder irgend einer Verbesserung gereichen kann, und dieses zwar ohne Rücksicht auf Person, ohne Schenkung, Gabe, Freund, Feindschaft oder Hasses willen, sondern getreulich und ohne Gefährde, so wahr mir Gott helfe und seine lieben Heiligen.
Wie mir ist vorgelesen worden und ich wohl verstanden habe, dem will ich getreu und pünktlich nachkommen, so wahr mir Gott helfe und seine lieben Heiligen.“
Unter den „Instructionen“ findet sich weiter:
„Der Chaussee Bereuter erhält seine Verhaltungs-Vorschriften von dem Ingenieur des Straßen- Weeg- und Brückenbaus des Kreiß, in welchem er angestellt ist – diesem ist er in allem subordinirt. Der Chaussee Bereiter ist im Dienst immer in Uniform und bewaffnet. Dieße, so wie Reitpferdt hatt er sich auf eigene Kosten zu stellen und zu unterhalten. Er berechnet übrigens außer seiner Besoldung weder Taggelder noch Reißevergütungen.“
Und am Schluss der Instruction heißt es: „Von allen Strafen erhält der Angebende Chaussee Wart oder Bereuter ⅓ tel Denuntiations Gebühr.“ Diese Erfolgsprämie soll sich später bei Franz Joseph Caspar Mering als verhängnisvoll erweisen.
Aus einer Diskussion der für die Chausseen Verantwortlichen vom Februar 1816 wissen wir, wie Franz Mering als Chaussee Bereuter gekleidet gewesen ist.
Nr. 179 und 217, Februar 1816 Diskussion zwischen Direktor von Gergen und den Kreis-Ingenieuren Wahl (Kaiserslautern) und Martin (Zweibrücken) über die Uniform. Martin gibt zu bedenken,
„dass bei dem provisorischen Zustande des Landes und der Ungewissheit der Dauer der dermaligen Landes Verwaltung diese Auslagen den Chausseebereitern sehr schwer fallen und es zu wünschen seyn wird, dass ihnen die Regierung in Anschaffung der Kleidung und Waffenstücke hülfreiche Hand leiste. Sollte dieses nicht der Fall seyn, so dürfte Qualität, Farbe und Schnitt der Uniform den Vermögensumständen dieser Offizianten angemessen, und von der Art seyn, dass sie zum gewöhnlichen Gebrauch auch alsdann dienen könnte, wenn bei der definitiven Bestimmung dieses Landes sich einige Veränderungen in der Uniformierung oder in der Dienstweise der Beamten des Wasser Weeg und Brückenbaus ergeben sollten. Diesen Bedingungen entspräche meines Erachtens eine graue Uniform, und würde selbige aus einem Fracke mit einer Reihe metallener Knöpfe und stehendem Kragen, einer Weste von derselben Farbe mit einer Reihe Knöpfe, langen grauen Beinkleidern, einfachen Stiefeln und einem mit der Landes-Kokarde gezierten dreieckigen Hute bestehen.
Was die Bewaffnung betrifft, so glaube ich dass ein Säbel hinreichend seyn wird und dürfte es den Chausseebereitern freigestellt seyn, sich mit Pistolen zu versehen.“
Ob unser Vorfahr eine Pistole besitzt? Oder nur den Säbel? Und wird er die Uniform sich beschafft haben, trotz seiner Armut und der offenbar oft aussetzenden Bezahlung? Viele Aufgaben und knapper Lohn. Aber er scheint entschlossen zu sein, diese Stelle auszufüllen.
[1] LHA Speyer, Best. G 26, Nr. 126
[2] LHA Speyer, Best. G 26, ad Nr. 296
[3] LHA Speyer, Best. G 26, Nr. 651
[4] LHA Speyer, Best. G 26, Nr. 126