Hermann Gustav Behn, Generalleutnant
(12.07.1852 – 21.05.1932)
Wir haben ihn nicht gekannt. Unsere Gewährsfrau ist Edith Behn, verheiratete Liebert, unsere Großmutter mütterlicherseits. In ihren Familienplaudereien erzählt sie:
In Trier, „in der weinseligen Stadt – in der alten Römerstadt – der Stadt des Heiligen Rocks wurde mein Vater am 12. 7. 1852 zur Rosenblütenzeit geboren. Mein lieber Vater!“ Und so ist es!
Neben Großmutters Zeugnis habe ich Kirchenbücher, Archive, das Internet, Pauls Erinnerungen, Ruths Tagebuch 1930 und ihre Briefe, dazu Fotos aus der Familie verwendet.
Kirchenbuch der Militair Gemeine in Trier vom Jahre 1820 bis 1868 Geborne und Getaufte im Jahre 1852
Nr. 11 34. Inf. Reg. Stab, Trier, (12) zwölften July, Trier, 19. August, evang. Höpfner Hermann Gustav Behn, Vater: Gustav Adolph Behn, Dr. med u. Ober-Stabsarzt, M.: Julie geb. Zelter, beide evang., Paten: 1) Ferdinand Pruch, Hauptm. im 34. Inf. Reg. 2) Reinhold v. Baumbach, Leut. im 34. Inf. Reg. 3) Hermann Behn, Reg. u. Med. Rath zu Bromberg (abwesend), laut Anzeige des Stabs.
Der Pate Dr. Hermann Behn in Bromberg ist der Bruder des Vaters, also Hermanns Onkel. Auch er ist beamteter Arzt, aber im Zivildienst und in Bromberg, sozusagen auf der entgegengesetzten Seite des Preußischen Reiches.
Als Sohn eines Regiments- und Stabsarztes war Hermann medizinisch gut versorgt. Unsere Großmutter erzählt, dass Hermann seine Mutter sehr geliebt habe. Als Hermann zwei Jahre alt war, wurde das Regiment nach Mainz verlegt und als er drei Jahre alt war, starb dort sein acht Jahre alter Bruder an den Folgen der Masern. Von da an hatte er nur noch die sieben Jahre ältere Schwester Anna. Sicher wurde er nach dem Tod des Bruders umso sorgfältiger gepflegt.
1860 zog die Familie nach Rastatt um und schon 1861 erhielt der Vater die Beförderung zum General- und Corpsarzt des V. Armeecorps in Posen. Die Liste Backström hält fest: „Abg. 1861: Ob.St. Arzt Dr. Behn zum Gen. Arzt V. A.K. ern.“
Nach den ungenauen Nachrichten unserer Großmutter über die Jugend ihres Vaters („er sprach nie darüber!“) war Hermann damals wohl schon in der Kadettenanstalt in Potsdam, um dort sein Abitur zu machen und dann zum Offizier ausgebildet zu werden. Ob die Mutter mit Anna auch in Potsdam blieb, ob sie den Umzug nach Posen gar nicht mitmachte, weiß ich nicht.
Dr. Adolph Gustav Behn
Unsere Großmutter Edith schreibt über ihren Schwiegervater Adolf Gustav Behn: „Es traten immer mehr als Folge eines Gehirnleidens große Heftigkeitsausbrüche auf… Meine Mutter hat mir erzählt, daß mein Vater schon als Kind oft beruhigend eingreifen musste. Er sprach nie davon; die 17 Jahre jüngere zarte Frau wollte mit aller Macht ihren geliebten Mann behalten. Als er sie aber einmal aus dem Fenster heraushielt und sie rufen mußte und er den Helfenden erklärte, sie solle gute Luft haben, da erkannten alle, daß seine Krankheit Formen annahm, die ein Familienleben unhaltbar machten. Ich weiß nicht, in welcher Stadt das war. Jedenfalls kam er nach Halle, wo bei Halle in Brehna die Heilanstalt Carlsfeld lag, in der er am 10.3.1866 von seinen Leiden erlöst wurde.“
Julie Behn, geb. Zelter
10. März 1866 |
Ev. Kirchenbuch Brehna bei Halle |
Tod als Generalarzt a.D. in der Heilanstalt Carlsfeld bei Brehna, angezeigt durch den Direktor der Heilanstalt Dr. Heinrich Böttger, Todesursache: Lungenlähmung |
Hier wird offensichtlich etwas im Leben des Vaters vertuscht, vermutlich die Syphilis, vielleicht auch eine Medikamentensucht. Für die Kinder tragisch war, dass kurz nach dem Vater auch die Mutter starb. Im Potsdamer Sterbebuch steht:
„1866 No. 348 Mai 3 Behn, Julie geb. Zelter Ww e. Generalarzt - J. 4 M. 24 T. 3 Kinder Letzte Wohnung: Charlotten-Str. 14 Todesart: Magenverhärtung Kirche Gk Anmerkung: Erbb. Bt. Neue Linie 4“
Das Garnisonskirchenbuch von Potsdam enthält im Jahr 1866: „Mai, Garnison, Nr. 69 Behn, Julie geb. Zelter Witwe eines Generalarztes a.D., 42 J. 5 Mon. drei Kinder Tag und Stunde des Todes: 3. dritte Todesursache: Magenverhärtung“ Weiter nichts.
Acht Monate vorher aber hat die Mutter noch einmal ein Kind geboren, einen Sohn.
Potsdam Hof- und Garnisongemeinde Taufen 1864 - 1870
1865
Eltern: P: Dr. Behn, Generalarzt a.D.
M: Ehefr. Julie Zelter
Männl.: Friedrich Carl Behn, Geburts- u. Tauftag: geb. 6. Oct., get. 2. Nov., Zeugen: Herr Fehringer Kgl. Insp.(Schwiegervater von Julies Schwester Marie), Herr Große Kgl. Ober Amtmann (Schwager von Julie), Herr Romberg Assess. d. Kgl. Sternwarte (Verlobter der schönen Anna, der ältesten Schwester des Täuflings)
Das Ehepaar hatte seit 1852 keine Kinder mehr gehabt. Julie war nun 41 Jahre alt, Adolph Gustav 57. Natürlich können dann noch Kinder gezeugt werden – aber unter dem Aspekt, dass mindestens Adolph schon krank war, kann man sich dieses Kindes nicht freuen. Nach der Rangliste von Backström ist Adolph Gustav 1865 „mit Pens. u. Uniform verabschiedet“. Wann er nach Brehna kam, lässt sich nicht herausfinden. Dieser nachgeborene Bruder hat das Leben seiner älteren Geschwister sehr belastet und er ist auch selbst unglücklich gewesen und mit 21 Jahren bei einem Unfall gestorben.
Als Anna 1868 heiratete, war Hermann noch in der Kadettenanstalt. 1870 brach der Deutsch-Französische Krieg aus, „wo mein Vater als 18jähriger mitging, direkt aus der obersten Klasse – jubelnd aus der Kadettenanstalt, in der er sich furchtbar unglücklich fühlte,“ schreibt Edith.
„Mein Vater als armer Offizier kam damals nach Königsberg zur Fortifikation. Er war 70/71 aus dem Kriege gekommen und in demselben Leutnant geworden, kam dann zum Garde-Pionierbataillon ….. Berlin war natürlich herrlich für einen jungen Offizier“ - doch ca. 1877 oder 78 wurde er nach Königsberg versetzt, der Pionierausbildung wegen. Dort lernte er im Regiment den 4 Jahre jüngeren Oscar Ehlert kennen, Sohn des Königsberger Getreidekaufmanns Otto Ehlert, und ließ sich gern von ihm in dessen großzügiges Vaterhaus einladen.
Martha Ehlert, Oscars ältere Schwester, hatte die Erfahrung gemacht, dass man sie der Mitgift wegen heiraten wollte. „Dann wollte Mutter nicht heiraten und trat Vater, als er Besuch machte im elterlichen Hause, harmlos unbefangen entgegen. Er betrauerte Berlin und fand Königsberg nicht schön. Da lachte Mutter und sagte: „Ich wünschte Ihnen zur Strafe, dass Sie sich aus Königsberg mal eine Frau mit ins Leben nehmen müssten.“ Da lachten alle und er selbst herzlich. – Mein Vater hatte sich sehr, sehr einrichten müssen – er war ja so arm…. Jedenfalls war jede Anschaffung eine sehr zu überlegende Sache. Nun kam er in das Haus seines Kameraden und alles war frei und heiter und licht. So wurde er häufiger und immer mehr Gast des Hauses.
Mein Vater war sehr groß – neigte ganz jung – Anfang 20 – zur Stärke. Es war ganz plötzlich gekommen. Er war bei Behns in Bromberg (bei seinem Patenonkel) 4 Wochen Gast – alle möglichen Biersorten der Brauerei wurden geprobt. Er war in Zivil. Als er heim kam, passten ihm die engen Röcke nicht. Es war beinah einem Ruin gleich kommend. Wie oft hat er uns das erzählt.
Hermann Behn 1887
Mit 27 Jahren war er schon recht stark. Er hatte eine gebogene Nase und sah später als Hauptmann mit Vollbart anders aus. In dieser Zeit war er ein selten schöner Mann. Er hatte helle blaue Augen – sein Bart war germanenblond. Ein blonder Behn – denn vieles hatte er vom Vater. Vor allem lächerlich die schöne Hand – die als Eigenheit das 2. (mittelste) Daumenglied versteift hatte – mein Bruder und ich erbten diese Hand mit der Abnormität. – Der Sommer verging und mit Fest, Tanz und Schlittenfahrten kam Weihnachten heran. Und kurz vor diesem so innigen Familienfest – ich glaub 2 Jahre verkehrte Vater im großelterlichen Hause – da muß dann die Bindung zwischen den beiden jungen Menschen zustande gekommen sein. Weihnachten jedenfalls war die Veröffentlichung. Meine Mutter hat mir oft erzählt, welchen Wirrwarr sie in der Marzipanküche – einem Backraum bei der Küche, für die weihnachtlichen Leckereien hauptsächlich gebraucht - angerichtet hätten. Welches Königsberger Haus war ohne eigen gefertigtes Marzipan. Da wurde geformt und zart gebräunt, geknetet und jede Hilfe dankbar begrüßt. Aber das Brautpaar warf man hinaus. Sie machten einfach Unfug in ihrem jungen Glück. Vater war 28, Mutter 26 Jahre.
Weihnachten und Verlobung …. „ein großes Familienfest wurde gefeiert – und dabei passierte es, daß ein Diener auf meines Vaters beste Uniform auf den Ärmel eine fettige Sauce goß. Auf den Sammetaufschlag mit der Silberkandillenstickerei – ach der schöne Waffenrock. Mein Vater war grenzenlos heftig, was uns tief beunruhigt hat, aber nur ein Fehler war und keine Krankheit wurde! Er verbiß seinen Zorn – aber als Tante Clara gutherzig kam und mit der Serviette reiben wollte, war es mit seiner Fassung vorbei. Er fasste die Serviette und riß sie mitten durch – Ja – das war ein nachdenksamer Anfang für eine junge Braut. Ein grauliches Moment kam auch noch dazu, indem eine ältere Tante, die manchmal einen gestörten Augenblick hatte, Mutter als Gratulation sagte: ob sie wirklich einen Mörder mit roter Hand heiraten wolle! Meines guten Vaters Kriegsteilhaberschaft in dieser Auslegung war ja nun doch verblüffend.
Am 9. Mai – in meiner Erinnerung immer ein sonniger Tag – war Mutters Geburtstag, am 16. Mai 1880 der Hochzeitstag. Ob an diesem Tag Felix Dahn der Eltern Fest verschönte, weiß ich nicht – jedenfalls war er ein häufiger Festgast im großelterlichen Hause… Als die beiden sich zum ersten Mal trafen, wusste Vater nicht, wen er vor sich hatte in dem großen Kreise. Dahn sprach allerlei mit ihm über Bücher und sagte dabei: „Kennen Sie den Kampf um Rom?“ „Ach nein“, sagte mein guter Vater ahnungslos, „ich habe soviel dienstliche Lektüre – man kann ja nicht alle Bücher kennen!“ Da klopfte Dahn ihm auf die Schulter und sagte: „Ich werde mir erlauben es Ihnen zuzusenden“ - „Schön,“ dachte Vater, „netter alter Herr“. Am nächsten Tage bekam er es mit Widmung zugestellt und wurde oft herzlich ausgelacht. Leider ist dies wertvolle Exemplar verloren gegangen.“
Mit der Heirat war nicht nur eine gute Mitgift verbunden – noch ich als Urenkelin bin mit den schönen Damasttischdecken und -servietten ausgesteuert worden - sondern auch ein monatliches Gehalt für Martha gehörte dazu. Der gute Vater Ehlert, der sich so sehr der Hochzeit seiner einzigen hübschen Tochter freute, war großzügig. Das junge Paar wohnte zuerst in Metgethen, dann in der Prinzenstr. IV, II. In Königsberg wurde auch noch der Sohn und Stammhalter geboren, am 31. Mai 1881, Felix Behn. Zu seiner Taufe wurde das edle Taufkleid genäht, das wir noch heute bei Taufen wenigstens hinhängen, obwohl unsere Kinder längst zu groß dafür sind.
Aber im Herbst, am 15. Oktober 1881, ging es für den Premierleutnant Behn zurück nach Berlin zum Garde-Bataillon. Die Wohnung war zuerst in der Köpenicker Str. 51/52 I, dann am Lausitzer Platz 8. Und in Berlin, am 18. Januar 1884, wurde die Tochter der Behns geboren, unsere Großmutter.
„Mein Vater war unendlich stolz auf seinen Jungen, obgleich ihm für Mutter zur späteren Hilfe ein Mädchen zuerst wünschenswerter erschienen war. Meine Mutter hatte sich aber als erstes Kind nur einen Sohn gewünscht. – Als nun das 2te Kind erwartet wurde, meinte Mutter, ein Mädchen sei ihr auch recht – aber als Vater stolz meinte, so viel Spaß wie der Bub ihm mache, erwarte er nicht von einer Tochter, sagte Mutter: Also dann ist’s mir auch recht und es war ausgemachte Sache, dass der Bub Werner heißen solle. Mädchennamen wurden wohl mal erwogen, aber nicht festgelegt. Als ich also meine kleine Nase abends um ¾ 10 in die Welt steckte, war ich eine unerwartete Angelegenheit. Mutter war so frisch – alles so gut vorüber und sie hatte beide Male recht bekommen, so daß sie lachend sagte: „Geh nur das Mädel anmelden.“ In dem Durcheinander der Wochenstube mit den vielen Frauen fühlte sich Vater sowieso überflüssig. Stolzgeschwellt ging er zur Anmeldung, so bald sich das am nächsten Morgen tun ließ auf dem Dienstwege – glücklich, aber gänzlich unvorbereitet.
Da blies ihm der Wind seinen liebsten Freund Mudra in den Weg. „Hurrah“, rief Vater, „ Bruno, alles glücklich vorüber.“ Mudra kam händeschüttelnd seinen Glückwunsch sagend: „Na“, sagte er, „ist der Bengel, der Werner, auch ordentlich?“ Vater lachte: „Falsch geraten, es ist ein kleines Mädel, ich melde sie eben an.“ Beide waren auf dem Dienstwege, mein Vater konnte diese Vaterpflicht im Vorbeigehen erledigen. – Also gingen sie miteinander: „Wie soll sie denn heißen?“ fragte der Freund den jungen Vater. Der blieb verblüfft stehen. „Ach, nun haben wir keinen Namen ausgemacht.“ Mudra lachte schallend. „Zurück gehe ich nicht, weißt du nicht einen hübschen Namen?“
„Nenne“, soll der Onkel Mudra gerufen haben, „nenne sie Edith, das ist ein feiner Name.“ Also verdanke ich ihm meinen Namen. Vater wanderte mich anmelden und sein Freund ging in den Dienst. Doch dann kam die 2. Klippe. Vater sollte Mutters Vornamen nennen und wusste sie nicht. Er sann kurz nach und sagte: Martha Marie Luise. Meine Mutter hieß aber all ihr Leben Martha Laura Ida. Wie viel Scherereien hat diese Unstimmigkeit später gemacht, da auf dem Trauschein meine Mutter ihre richtigen Namen vermerkt hatte. Wie oft ist der gute Vater noch ausgelacht worden über diese Geschichte. So macht schon ein winziger Mensch seinen Eltern Beschwer. Onkel Mudra war damals noch Junggesell.
General Bruno von Mudra
Er muß doch wohl aber eine große Liebe zu diesem Namen gehabt haben oder zu einer Frau, die diesen Namen trug, denn als wohl ein Jahrzehnt später Onkel seine eigene Tochter geboren wurde, erhielt sie auch den Namen Edith. Diese Tatsache und der Umstand, daß ich wieder ins Pioniercorps heiratete und Onkel als hoher Vorgesetzter oft zu Besichtigungen kam, verschob im Pioniercorps sowohl wie bei ihm selbst den Zusammenhang und er fühlte sich immer als mein Pathe, während er der Pathe meines Bruders war und Onkel Geiseler mein Pathenonkel war. So wurde eigentlich mein Bruder um den später als Heerführer im Weltkriege so berühmten Pathen betrogen. Wir versuchten es manchmal richtig zu stellen – gaben es aber als zwecklos auf. Wie oft bin ich mit den Worten in Geselligkeit begrüßt worden: „Ach nun lerne ich auch Mudras Pathenkind kennen“ – So gaben wir allmählich jede Richtigstellung auf.
Zunächst aber war ich ein über 9 Pfd. schweres gesundes Baby, dem alles gleich war – die Pathen und alle sonstigen Wirren, die es anrichtete. Und bald war der strahlende Vater überzeugt, daß eine Tochter zu haben ein ganz besonderes Glück wäre. Ich war ein lachendes, schönes Kind – mit großen brauen Augen. Auch mein Bruder war ganz dunkel. Wir gingen beide nach der Guthzeithschen Familie im Aussehen. Ich finde große Ähnlichkeit mit meiner Mutter Liebling, Bruder Hugo. So waren wir eines glücklichen Elternpaares Spielkinder nach dem Reuterschen Ausspruch: Ein Kind kein Kind, zwei Kinder Spielkinder, drei Kinder viel Kinder. Die Onkels, alle noch unverheiratet – mit diesem Sammelbegriff betitelten wir die ein- und ausgehenden Kameraden, die zu jeder Zeit erschienen und mitaßen, was eben da war, oft noch mit Vater die Speisekammer inspizierten und mit Butterbroten wieder erschienen – verwöhnten uns mit. Wie oft hatten sie abends noch den heißen Wunsch uns zu sehen. Unbekümmert wickelte man uns in unsere Schlafdecken und holte uns aus den Bettchen. Man setzte uns zwischen die Großen aufs Sofa und wir blinzelten uns behaglich im Licht zurecht und bekamen kleine Leckerbissen und die Ermahnung ins Bett, schnell zu schlafen. Wir kamen dem auch nach und waren nie nervöse Kinder. So oft geschah es ja natürlich nicht. Man machte sich mit Erziehungsproblemen das Leben nicht schwer. Richtig war es natürlich nicht. Bei mir soll es auch schon weniger geschehen sein – schließlich wurden wir ja auch älter – und die Eltern auch. Eine niedliche Kindergeschichte gibt es dabei zu berichten. Die Eltern mit den Intimsten des Hauses Mudra und Geisler saßen eines Abends und Felix war als Dreijähriger einmal wieder dabei. Man kam auf der Eltern Hochzeit zu sprechen und wie doch alles so schön gewesen sei und als sie von all den Leckerbissen und bunten Aufführungen sprachen, kamen dem kleinen Felix an einen unlängst miterlebten Jahrmarkt Gedankenverbindungen und als alle ihn ganz vergessen hatten, sagte plötzlich seine klare Kinderstimme: „Da kann ich mich so gut auf besinnen, das war schön!“ worob alles herzlich lachte und das kleine enfant terrible ins Bett kam.
Unterdessen muss sich immer dichter die dunkle Wolke über meiner Mutter Elternhaus zusammen gezogen haben. Ich habe erst als Frau und sehr schonend von all dem zu hören bekommen und weiß nicht, wann der Vermögenszusammenbruch stattfand. Jedenfalls war ich noch sehr klein – wohl 2 – 3 Jahre."
Getreidekaufmann Otto Ehlert und Helene Ehlert, geb. Guthzeit 1875 in Königsberg
"Der Leichtsinn des Onkel Henné, der Verkauf der großelterlichen (Guthzeitschen) Güter (des Vaters meiner Großmutter), das kostspielige Leben im Hause auch des ältesten Sohnes – wohl auch ein im Älterwerden, Nichtüberblicken der Geschäftskrisen, kurzum der Zusammenbruch kam und zwar so, daß Großvater am Unglück Vieler schuldig gesprochen wurde, der Freiheit beraubt und in Verzweiflung durch Selbstmord endete – ganz ähnlich wie später sein jüngster Sohn. Nur soll Großvater nicht mehr im Besitz seiner Geisteskräfte gewesen sein. Meine Mutter hat unter diesem Punkt sehr stark gelitten. Ich glaube sogar, daß mein Vater um seinen Abschied einkam, was die Allerhöchste Gnade des Kaisers nicht annahm. Ich habe volle Offenheit gelobt und weiß, daß dieses Familienbuch von meinen Kindern in Ehren gehalten wird. Mehr kann und will ich nicht darüber schreiben – nur eins weiß ich, daß mir beide Eltern hoch ehrenwert erscheinen, wie sie sich in Armut und Enge zurechtfanden und mein Vater, der der Enge, die er von Kindheit kannte, entfliehen wollte, standhielt. Vorbildlich blieb seine Stellungnahme zu seiner Frau. Nie habe ich auch nur eine Andeutung in Heftigkeit oder irgendeinen Vorwurf gehört – was mir eine Charaktergröße erscheint, die nicht jeder Mann besitzt. Nie auch hörten wir Kinder ein Wort. Mein Bruder war noch ein Weihnachten bei den Großeltern, bekam einen Werkkasten mit Nägeln und Hämmerchen und schlug sie in Großmutters Salon überall in die Wand bei unbewachten Momenten. Großvater lachte: „Lasst ihn doch spielen“, das Zimmer wurde tapeziert. Daran hat der 3jährige keine Erinnerung gehabt. Ich erlebte wohl keinen Besuch mehr von Berlin aus.“
„Am Sonnabend 17. Juli 1886 kam Bruder Hugo uns Lebewohl sagen von London aus, blieb bis Sonnabend den 24. Juli bei uns und ging am Sonnabend den 7. August von Antwerpen mit der Menes nach Bolivien, La Paz.“ Diese Aufzeichnung finde ich in der Traubibel der Eltern von der Mutter Hand. In ihrer liebevollen Einzelheit wird klar, wie schwer ihr der Abschied von diesem Bruder wurde und wie hart der Geschwisterkreis auseinander gerissen wurde.“
„Und nun ist meine Mutter zu bewundern, die mit Energie sparte und doch das Heimwesen traulich machte. Sie arbeitete mit geschickten Händen unsere Sachen, lernte auch für sich schneidern, damit wir dem väterlichen Stande nach auftreten konnten. So überwanden die Eltern diese schwere Ehekrise. Am 14. Dezember 1884 schon wurde mein Vater zum Hauptmann befördert, so daß die Gehaltsstufe doch etwas höher war als das Unglück hereinbrach. Er wurde Kompagniechef der 4. Komp. im pommerschen Pion. Batl. Nr. 2 in Stettin. Mutter siedelte mit uns am 14. I. 1885 dorthin. Beide Eltern sprachen mit Liebe von dieser schönen Garnison, der letzten sorglosen. Am 1. 4. 1886 wurde das ganze Bataillon nach Thorn verlegt. Mutter siedelte schon am 4.4. nach. Sie schilderte oft lachend später den Eindruck der ersten Kleinstadt. Wie grundlos schmutzig der Weg gewesen sei, als sie Wohnung suchte, und wie eine ältere Frau, mit einer kleinen Ruthe ihre Puten zusammen in den Garten heimholend, ihr den Weg gewiesen hätte und sich nachher als Offiziersfrau herausstellte. Immer erzählten die Eltern, wie billig die Garnison war, wie reizend der Verkehr, wie eng der Zusammenhalt. Für unendlich wenig Geld bereitete man sich aus Störrogen Kaviar. Krebseessen gab es in Fülle.“
„Am 27. März 1888 ging Vater nach Elbing mit seiner Kompagnie, um bei einer schweren Überschwemmung der armen Bevölkerung zu helfen. Er zeichnete sich aus und bekam den Adlerorden.
Familie Behn in Köln mit den Kindern Felix und Edith 1889
Ich weiß auch noch dunkel seine Erzählungen von dem Elend zu erinnern. Schwimmende Bettchen mit Kindern konnten die braven Pioniere oft unter Lebensgefahr bergen. – Viel ausführlicher hat Mutter in der alten Bibel Tag und Stunde der Heimkehr am Mittag des Buß- und Bettages am 25. April Nachm. 4 Uhr bezeichnet. – Die nächste Aufzeichnung besagt: Am Sonnabend den 27. October früh nach Cöln versetzt 1888. Herrmann zur IV. Ingenieur-Inspektion. – Am 1. IV. 1889 nach Deutz versetzt.“
Hermann war nun Hauptmann bei der 4. Ingenieur-Inspektion für die Festung Köln. Er erhielt den Orden Roter Adler 4. Classe und die Rettungsmedaille wegen seines mutigen und umsichtigen Einsatzes beim Weichselhochwasser. – „Diese beiden Versetzungen innerhalb Cölns lassen keine Erinnerung bei mir zurück. Es muss aber wohl ein Wohnungswechsel stattgefunden haben. Deutz aber ist voll von Kindheitserinnerungen. Es war eine herrliche Zeit für uns Kinder. Wir hatten eine Dienstwohnung und neben uns der vorgesetzte Major. Er hieß Trenk“ und hatte viele Kinder. „Herrlich war dieser große militärische Komplex, in dem wir toben konnten. Stand man auf der Straße, so war in der Mitte der Front ein Gartensteig, der die beiden Gärten teilte, links der kleine gehörte uns – rechts der große Trenks. An unserm Garten links vorbei lief ein Weg zu einer neben unserm Hause liegenden Wallmeisterwohnung – hinter dieser durch einen Zaun war uns abgeteilt ein Wiesenstück, das für Bleichzwecke diente. Hinter unserm Hause war ein Gartenstück, das wild lag und in dem ich gern allein manchmal spielte, aber zwischen diesem Gartenstück an der Kehrseite der Häuser vorüber und dem Trenkschen Garten war ein Gartengang, der in den großen Hof mit den Ställen mündete. Dieser Gang war wieder durch eine Tür nach dem Hof verschlossen. Hinter dem Hof, unserem Hintergarten und dem Wiesenstück dehnten sich Wiesen bis weit nach hinten – umsäumt von Schuppen, die Holzbalken bargen. Wohl Pioniergerät. Eine hohe Mauer schloss den Komplex ab – an welcher auch Balken aufgeschichtet lagen. Dort hinauf zu klettern war eigentlich verboten, aber es war eben herrlich dahinauf zu klimmen, denn zur Krönung dieses Vergnügens konnte man sich oben angelangt auf die Brüstung stützen und hinunterschauen und zwar in den Kasernenhof der Deutzer Kürassiere. Dort Unterhaltungen anzuknüpfen und dem Pferdeziehen und Drillichzeugwaschen und all dem Soldatenleben zuzusehen war in unbeschäftigten Stunden etwas sehr Lockendes. Eigentlich war ich in Cöln immer irgendwie entzwei und es ist meiner guten Natur zuzurechnen, daß ich alles überwand“, z.B. eine „Schleimbeutelentzündung im Knie – sowie Wasser. Ich wurde in Gips gelegt und war wieder ein lahmes Entchen. Ich sehe mich noch eines Nachmittags in einem der Betten der Eltern liegen – o so langweilig war es. Draußen war es grün. Ich war einmal allein. Ich wollte mehr gucken und stand auf. Das Bett federte. Das Wippen gefiel mir. Ich zog mich hoch, stellte mich im Bett auf und da ich nicht in Schwung kam, stellte ich mich auf das Gipsbein und schwenkte das andere Bein vor und rückwärts. Nun ging es herrlich. Bald darauf kamen entsetzt die Eltern. Ich bekam Vorwürfe und weinte bitterlich. Da nahm mich mein guter Vater auf den Arm, zog mir einen warmen Parchentrock von Mutter an, den man damals trug – weiß und halblang unter dem gestärkten langen, so daß ich warm war und trug mich in den Garten. Er setzte sich mit mir auf dem Schoß auf die Gartenmauer und ich empfand seine Güte tief. Auch diese Zeit ging vorüber. Meine Großmutter hatte uns Pantöffelchen gehäkelt, die außen schwarz mit roten Punkten (innen Schlingen) waren. Felixens waren hellblau. Wir schlidderten allabendlich begeistert auf den Filzsohlen. Bei meinem Pantoffel war an den Zehen eine Stelle des Oberstoffes abgetrennt. Ich holte eine Nähnadel und steckte es zu. Ich weiß noch, daß ich dachte, ob das pieken wird. Dann schlidderten wir. Dabei fuhr die Nadel tief in den Fuß. Angstvoll holte Felix den Vater. Er schrie nach einer Kneifzange, da nur das Öhr und ein Stückchen der Nadel heraussah. Ich sah seine Aufregung und weinte. Da kam die Zange und rupp war der Quälgeist heraus. Ich lachte schon wieder. Bei derlei Anlässen wurde ich stark ermahnt, wobei ich voller Reue schluchzte: „Ich will es nicht wieder tun.“ Dann hieß es: „Das sagst du immer.“ Und ich strömend: „ich will mich bestimmt verbessern.“ Meinen großen Kinderaugen mit den rinnenden Tränen konnte Vater nie lange standhalten.
Noch einen Unfall hatte ich Wildling; als ich wieder einmal die Balken bestieg zur Kürassiermauer, rutschte einer und ich saß mit dem Schuh fest. Ich zog. Es half nichts. Ich brüllte. Sausend lief Felix wie immer zum Vater, der gottlob daheim war. Ich habe meinen Vater nie so laufen sehen wie damals. Die Angst, die Balken kämen ins Rutschen, ließ ihn seine Stärke nicht beachten. Ich musste so lachen, daß ich mich bog, aber ein Donnerwort: nicht rühren! ließ mich erstarren. Vater stieg zu mir, schnürte vorsichtig meinen Schuh auf – da ließ sich das Füßchen hinausziehen, aber der Balken rutschte. Er riß mich hoch und sprang mit mir hinab. Donnernd begruben die Balken meinen Schuh. Da gab es aber eine heftige Auseinandersetzung. Damit waren aber auch meine Hans Huckebeinstreiche beendet. Rund um das Gehöft und die Gärten die hohe breite Mauer umkroch ich in stillen Stunden allein. Ich weiß noch, wie unheimlich schön es war, daß man doch fallen konnte. Es galt auch die Zweige abzunehmen. Gefallen bin ich aber nie. Im Trenkschen Garten war ein auszementierter leerer kleiner Kunstteich der ohne Wasser war. Dort spielten wir Indianer und allerlei Jugendspiele – auch der Wallmeister hatte wohl Buben – Freunde kamen hinzu und so umtobte die Meute die Gärten, aber einmal brach mein Bruder bis an die Brust ein, unter der Zementschicht war Morast. Wir schrieen im Chor Zeter Mordio. Mit Stangen wurde er gefischt, da der Zement bröckelte, wo er sich auch hielt. – Nein, sehr erholsam waren wir für „die Großen“ nicht.
Vater hatte damals sein erstes Pferd – jung war es. Wir liebten es bis es ein alter Hans wurde und Vater sich schweren Herzens viele Jahre später von ihm trennte. Treu hatte es den schweren Reiter getragen – jahrelang. Damals war Hans ein Kindskopf. Er riß sich beim Putzen los und tobte im Hof. Einmal sahen wir zu und es geschah wieder. Der Bursche war entsetzt. „Lauft fort“, schrie er und wir jagten auf den beschriebenen Gartengang zu, erreichten ihn, aber vergaßen, die Tür zuzuschlagen. Hans umtobte den Hof – aber als er uns als bunte Bälle herumkugelnd bemerkte, packte ihn der Übermut und er lief uns nach. Felix hatte die längeren Beine, am Ende des Ganges zum Wallmeistergrundstück war ja wieder eine Tür, die er zu erreichen strebte. Meine kleinen Beine troschelten so gut sie konnten nach – sinnlos nur hinterher. Ich hörte das Schnaufen des Pferdes und Aufschlagen der Hufe, da wurde mir Angst und instinktiv kroch ich seitwärts ins Gebüsch und Hans brauste vorbei. Felix war am Gangende und schlug schmetternd die Tür zu. Da stand der große Hans nun dumm und schüttelte den Kopf und der Bursche fing ihn ein. Vater wurde auf Felix sehr böse. Wie konntest du Bengel die kleine Schwester verlassen und dich retten, donnerte er. Da sagte Felix jämmerlich: „Ach ich dachte der Tull wäre von den Hufen schon tot getrampelt – und ein Kind wollte ich euch doch erhalten.“ Da konnte keiner ernst bleiben – alles lachte schallend.
– Eine schwere Darmoperation meines Vaters aber blieb mir völlig aus der Erinnerung damaliger Zeit.
Meine Eltern waren jung beide gesellige Naturen – bei Vater verlor es sich immer mehr – bei Mutter blieb das Bedürfnis nach Menschen ihr Leben lang. Hier war es, wo Onkel Herrmann Bayer und Tante Martha Bayer, geb. Behn – Vaters Cousine waren. Es war zufällig auch ihre Garnison. Ich entsinne mich ihrer ganz dunkel. Den treusten Lebensfreund fanden die Eltern dort in Onkel August Erlenwein einem reichen Weinhändler und seiner zarten kleinen Frau Albertine – dem Tante Albertinchen. – In einem Weinlokal lernten sich die Männer kennen und Vater trank seinen einfachen Wein, Onkel wollte ihn einladen zu einer guten Flasche. Vater lehnte ab. Onkel drang in ihn, da sagte Vater: „Ich lebe in beschränkten Verhältnissen und nehme nicht an, was ich nicht erwidern kann.“ Der Weinhändler liebte Offiziere nicht. „Er war sicher öfter von oben herab behandelt und sehr empfindlich, andererseits wurde er wohl auch recht ausgenutzt in seinem Beruf. Kurzum, Vater gewann sofort sein Herz und beide, Onkel und Tante, haben mir oft erzählt, wie Onkel nach Hause kam und sagte: Den Mann will ich kennen lernen. Sie hatten einen Bub, Walter. Er wurde unser Kinderkamerad. Von Erlenweins Heim sahen wir uns am Rosenmontag den Karnevalszug an. Er ist mir als ein Stück Märchenland fest im Gedächtnis geblieben mit dem Wagen des Prinzen, der Apfelsinen, Konfekt und Blumen unter die Menge warf – mit den roten und hellblauen Stadtfunken – auf Pferden in ihrer friderizianischen Uniform. Noch 2 bescheidene ältere Jüngferchen will ich erwähnen: die beiden Fräulein Lettows – Gustave Lettow klöppelte sehr schön. Wo Mutter lernen konnte in Handarbeiten war sie sofort dabei. Vater verstand es unsere bescheidene Lage nie drückend zu machen. Er bewilligte großzügig Mutters Liebhabereien. Also wurden Garn, Klöppel und Kissen angeschafft und gelernt. Ich durfte manchmal mit…
Am 17. 8. 1891 wurde mit einem Schlage alles anders. Vater wurde nach Glogau versetzt. Interessant zu sagen in der Schule: wir sind versetzt. Herrlich überall zwischen den Kisten herumzuturnen: der Abschied noch unbewusst – die lange Reise im Vordergrund. Hinaus ins liebe Schlesierland! Im Hotel Deutsches Haus logierten wir. Wir Kinder aßen im Fenster stillvergnügt Äpfel. Der Wirt trat an den Vater heran, er bäte der Vorübergehenden halber, daß wir nicht die „Griebsche“ herunterwürfen. Keiner von uns verstand, was dies geheimnisvolle Wort bedeute. Es waren die Kerngehäuse, deren wir uns ahnungslos entledigt hatten. Unsere Wohnung lag am Wilhelmplatz 6 III. Ach, es gab viel zu lernen. Man wohnte nicht allein im Hause. „Leise gehen“ hieß es. Das Haus war unten von dem Rabbiner der nahe gelegenen Synagoge bewohnt. Wir wurden ermahnt uns ordentlich zu benehmen….
Mein Bruder wandte sich nun immer mehr Buben zu – d.h. ich durfte mit den größeren Jungen nicht mehr mitspielen. Mein Bruder schnitt mich, wenn ich ihn auf dem Heimwege von der Schule begegnete. Ich litt darunter. Vater merkte es. Ich wurde verhört und die Schandtaten kamen heraus. Felix bekam Schelte, er sei unbrüderlich. Er kam nachher zu mir: „Tull, du musst das doch richtig verstehen, wenn ich nicht mit dir gehen will, du bist doch bloß ein Mädel.“
„Bloß ein Mädel“, das tat weh – aber der Grund, die Jungens hänselten ihn, er selbst wäre sonst mit mir gegangen, tröstete mich. Das war nun mal so, ich sah es ein.“ Beim Spielen mit ihm zu Hause „fiel ich einmal gestoßen gegen den eisernen Ofen. Schon wollte ich losheulen. Da sagte Felix raffiniert: „Donnerwetter, sie heult nicht – wie ein Junge.“ Das war ein Orden. Ich verbiß jeden Schmerz und Mutter merkte erst beim Kämmen die blutige Schramme. Ein Junge sein! O wie herrlich.“
„Vater schlug selten. Immer aber merkte man seine Liebe. Das Vertrauen blieb felsenfest. Er sang mit herrlicher Stimme – manchmal variierte er etwas selbst, dann wenn er von der Melodie abirrte – komponierte er selbst. Wir waren seine Rekruten. Felix: Puffschnut – ich: Pumlück – dann kommandierte er. Er setzte auf jedes Knie eins und ließ uns reiten, dabei sang er schallend: „Es blasen die Trompeten Husaren heraus, es reitet der Feldmarschall im fliegenden Braus, er reitet so mutig sein munteres Pferd, er schwinget so lustig sein blitzendes Schwert – Juchheirassasaaa die Preußen sind da - die Preußen sind lustig, sie rufen Hurrah!“ Ach und Weihnachten! Wir arbeiteten immer für den Baum und schmückten ihn mit. Da brachte der Bursche schöne Strohhalme, die wurden in kleine Stücke zerschnitten, bunte Papierviereckchen wechselnd mit ihnen auf Fäden gezogen oder Ketten aus bunten Papierfetzchen gemacht. Und dabei sang Vater mit uns und vergoldete Nüsse. Und dann kam er abends mit Pfefferkuchen an. „Denkt mal, wie ich so gehe, sehe ich ein kleines graues Männchen…“ Wir zitterten vor Glück, er fragte nach uns, er war der Weihnachtsmann. Er schickte uns all das Gute. Als wir auch längst wussten, der gute Vater hatte es gekauft, immer wurde es so eingeleitet. Ihr Väter, Ihr Mütter, ich rufe Euch als alte Frau zu: Seid euren Kindern nahe – im Spiel und im Ernst – im Trösten – in der Freude – es ist – versäumt – eine nicht wieder einzuholende Liebe – die in“ (hier bricht der Text meiner Großmutter mitten im Satz ab – vielleicht, weil es inzwischen Dezember 1944 war und ihre Tochter vor der Tür stand: eine Kriegerwitwe mit drei Kindern. Da konnte sie noch einmal ihre mütterliche Kompetenz beweisen.)
Was ihr Vater zu der Ausbildung seiner Kinder dachte, überliefert Edith nicht. Es sieht so aus, als sei da ihre Mutter entscheidend gewesen. Offenkundig ist, dass beide Kinder in der Schule nicht viel Erfolg zeigten, was dem Vater anscheinend gleichgültig war. Edith erzählt von strengen Lehrerinnen, auch von Schlägen als Strafe, aber offenbar konnte sie sich deswegen nicht zu Hause beschweren. Für Felix wurde ein Klavier gekauft, er bekam Unterricht. Edith hat keinen Unterricht bekommen. Das findet sie nicht schlimm, aber dass Felix von der Mutter einen Apfel bekommt und sie nicht, darüber beschwert sie sich heftig. Es geht ihr nicht um den Apfel, sondern um die Gerechtigkeit.
Felix kommt in die Kadettenanstalt. Edith besucht die Höhere Töchterschule und wird in Hausarbeit ausgebildet, dann zu den Tanzfesten der Garnison geschickt. Ihr Berufsziel: die Verheiratung.
Am 1. Januar 1895 wird Hermann Behn nach Neiße versetzt, die Adresse heißt: Mittelstr. 23 C I. Hermann Behn ist jetzt Major, er wird dort Oberstleutnant. In Neiße ist er Kommandeur des Pionier-Bataillons Nr. 6 . Am 27.1. 1898 bekommt Hermann den Königlichen Kronenorden dritter Klasse. Edith wird in Neiße konfirmiert, im Jahr 1900, da ist sie 16. In Neiße schließt sie die lebenslange Freundschaft mit Marie von Bonin, verheiratete v. Thümen. Mit ihr zeichnet sie die zahlreichen Papierpuppen, deren Kleider und Stuben. In dieser Zeit macht Felix Abitur und beginnt seine Ausbildung zum Offizier.
Freundinnen: Marie von Thümen und Edith Liebert, geb. Behn
Am 18.2.1902 wird Hermann zum Kommandeur der Pioniere des XVI. Armeekorps ernannt, unter Stellung a la suite des 1. Lothringischen Pionier-Bataillons Nr. 16. Auf den 22.4.1902 ist das Patent als Oberst des Ingenieur- und Pionierkorps für den bisherigen Oberstleutnant Hermann Behn datiert. Der Umzug von Neiße nach Metz folgt. Unsere Großmutter erzählte, wie gekonnt diese Umzüge organisiert wurden: 15 Tage nach dem Umzug wurde der erste festliche Empfang in der neuen Wohnung erwartet. Sie liegt in Metz in der Bischofstraße.
Am 18. März 1903 wird Hermann Behn der Rote Adlerorden dritter Klasse verliehen, am 12.5. 1905 folgt der Königliche Kronenorden dritter Klasse. Mit diesen Orden bestätigt der Preußische König seine Zufriedenheit mit Behns Leistung, weitere Gehalts- und Rangerhöhungen gibt es nicht.
In diese Jahre in Metz fällt der wachsende Kummer mit Felix. Seine Leistungen als Offizier sind mäßig, das zeigen seine Zeugnisse, dafür wird er spielsüchtig. Zweimal muss der Vater mit seinen Ersparnissen die Spielschulden seines Sohns bezahlen, sonst müsste Felix den Dienst in der Armee quittieren. Und zu einem andern Beruf hat er keinerlei Qualifikation.
In diese Jahre in Metz fallen die Tanzabende für Edith. Die Bälle der Garnison sind der Heiratsmarkt einer Offizierstochter. Sie erzählt, sie sei so beliebt gewesen, nie hätte sie gesessen, sie sei mit allen gut Freund gewesen, das Tanzen machte ihr Freude. Aber es erfolgte kein Heiratsantrag. Unsere Großmutter meinte, all ihre Tänzer seien jung gewesen, Leutnants oder Oberleutnants, ihre Gehälter niedrig. Eine Frau ohne Mitgift konnten sie nicht heiraten. Und sie wussten, dass Ediths Mitgift unter den Spielschulden ihres Bruders geschmolzen war – ja, sie mussten fürchten, als Schwäger eventuell zur nächsten Auslösung des Spielsüchtigen verpflichtet zu sein.
Großmutter hat mir erzählt, dass sie nach drei durchtanzten Wintern keine Lust mehr hatte. Jetzt wollte sie einen Beruf erlernen und auf die Ehe verzichten. Ihre Schulzeugnisse seien leider nur mittelmäßig gewesen, da sie die Schule nie wichtig genommen habe. Aber sie hoffte, zur Krankenschwesterausbildung angenommen zu werden. Ihre Mutter war absolut dagegen. Unsere Großmutter glaubte, dass es Martha gegen die Ehre ging, wenn ihre Tochter einen dienenden Beruf ergriff. Edith stritt sich mit ihrer Mutter. Und der Vater?
Hermann Behn 1904 Edith Behn 1904 Paul Liebert 1905
In diesem Sommer 1905 wurde der Oberleutnant Paul Liebert von Straßburg nach Metz versetzt. Er war Pionieroffizier, Schlesier und unverheiratet. Er war schon 36 Jahre alt. Und er hatte eigenes Vermögen. Angeblich hat er bei seinem Antrittsbesuch bei seinem Chef, dem Oberst Behn, auf der Treppe zur Beletage die Tochter des Chefs getroffen, die die Treppe hinabging. Und er hat sich Mühe gegeben, sie kennenzulernen. Am 13. März 1906 verlobten sich Paul Liebert und Edith Behn.
Es war eilig, denn die Behns mussten Metz verlassen. Am 10. April 1906 wurde Hermann Behn „mit Pension und Uniform“ eines Generalmajors verabschiedet. Die Behns zogen nach Berlin-Wilmersdorf, Güntzelstr. 21. Edith bereitete ihre Aussteuer vor. Sie war um einiges einfacher als die ihrer Mutter. Aber zu jedem 13. eines Monats schickte ihr Verlobter ein entzückendes Geschenk, das seine Treue und seine Vorfreude symbolisierte.
Hermann Behn hatte sich inzwischen um eine neue Anstellung bemüht. Er wurde Direktor des „Invalidendank“, das war eine staatliche Fürsorgestelle für Kämpfer aus dem Frankreichkrieg 1870/71, deren Altersrente nicht ausreichte. Der Invalidendank baute Siedlungshäuschen für sie und ihre Familien. Als Bauingenieur und Organisator konnte Hermann da nützlich sein. Und er besserte seine eigene Pension mit dem Direktorengehalt auf.
Am 14. März 1907 war die Hochzeit von Edith Behn und Paul Liebert in Berlin-Wilmersdorf. „Bescheinigung der Eheschließung für den Königlichen Hauptmann Paul Liebert, wohnhaft in Sablon bei Metz, mit Edith Julie Ottilie Behn, Deutsch-Wilmersdorf, Berlin.“
Mit der Heirat trennt sich Ediths Interesse von ihren Eltern. Obwohl sie mir gegenüber sagte, es sei eine Vernunftheirat gewesen, war sie offenbar sehr zufrieden in Metz. Sie ehrte und liebte ihren Mann und trug und stützte ihn, solange er lebte. Als ihr Mann in das erste Manöver nach der Hochzeit reiste, schrieb ihre Mutter, sie solle für diese Zeit nach Berlin ins Elternhaus kommen. Edith wollte das nicht. Sie glaubte, ihre Mutter wolle nur mit der gut verheirateten Tochter (Hauptmann Liebert!) angeben. Sie wagte aber nicht., die Absage zu formulieren. Da schrieb unser Großvater Paul in seiner prägnanten Art, er wolle, dass seine Frau in Metz bleibe, denn der Ort des Manövers sei nicht weit entfernt und er hoffe, öfter Abends heimkehren zu können. Dann wolle er seine Frau zu Hause finden. Daraufhin hatte er es mit seiner Schwiegermutter verdorben. Auch mit dem Schwiegervater Hermann? Er spielt in dieser Geschichte gar keine Rolle. Und Felix erst recht nicht.
Am 18. Februar 1910 wird den Behns ihre erste Enkeltochter geboren. Das geschieht in Sablon, einem Stadtteil von Metz. Dadurch wärmt sich das Verhältnis wieder auf. Die Behns sind beide von Ruth begeistert. Das wird auch dadurch begünstigt, dass der Hauptmann Liebert seit Dezember 1910 Erster Adjutant der 2. Ingenieur-Inspektion Berlin ist und die Familie in Berlin wohnt. Schon die Taufe von Ruth findet in Berlin statt, am 5. Juli 1910 in der Wohnung der Großeltern Friedenau,Kaiserallee 122 durch den Divisionspfarrer der 1. Garde-Division.
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Das Küsschen (Boa) auf diesem Bild von Hermann bezieht sich auf die Dreijährige Ruth in Posen. Denn seit 1913 ist Pauls Aufgabe dort. Doch nicht lange! Paul schreibt in seinen Erinnerungen: „Bei der Mobilmachung mußten Offiziersfamilien Posen verlassen und ihre Wohnungen dem Gouvernement zur Verfügung stellen. Am 2.8.(Sonnabend) wurde eifrig bis nachts gepackt, am Sonntag 11 Uhr Abreise mit Ruth (und der schwangeren Edith!) nach Berlin zu den Schwiegereltern.“ Paul geht an die Front, Edith zu Ihren Eltern. Am 17. Dezember 1914 wird in Berlin Ursula Liebert geboren. Edith hält es trotz zwei Kindern nicht bei ihrer Mutter aus. Sie mietet Anfang 1915 eine eigene Wohnung. Wieder spielt der Vater bei diesen Auseinandersetzungen keine Rolle. Aber vielleicht stammt aus dieser Zeit der Ausspruch, den Edith uns als sein Motto überliefert hat: „Ich liege auf meinem guten Ohr!“
Die Taufe der kleinen Ulli fand in Berlin statt, am 15. März 1915, in der Evangelischen Kirche Berlin-Wilmersdorf. Das junge Paar hat sich von Ediths Eltern emanzipiert. Paul bekommt zur Taufe seiner Tochter Urlaub von der Front in Frankreich. „Von Mobilmachung 2. 8. 1914 bis 1916 als Hauptmann in Stabsoffiziersstelle 1. Adjutant des Generals der Pioniere beim Armee-Oberkommando der 5. Armee (Armee des Deutschen Kronprinzen) in Frankreich. 15. März 1915 Major,“ schreibt Paul in seinen Erinnerungen, das heißt, er ist genau zum Termin von Ullis Taufe befördert worden.
Hermann ist mit Kriegsbeginn „wiederverwendet als Inspekteur der stellvert. 1. Pionier-Inspektion Berlin“. Ernst Hoffmann von der Militair-Mailingliste bei Compgen erklärte mir 2012: „Das war ein Dienstposten in der Heimat, der in erster Linie Ausbildung machte, aber auch mit Baumaßnahmen betraut war (Bauerhaltung in Kasernen durch Truppenmittel).“
1915 steht im Berliner Adressbuch: „Behn, Hermann, Generalmajor z.D., Tel. Pfzb. 1576“
Am 1. Mai 1915 hat sich herausgestellt, dass die Wohnungen der Offiziersfamilien in Posen nicht von der Heeresverwaltung gebraucht werden. Edith kehrt mit ihren Kindern in die schöne Wohnung in der Liebigstraße, direkt am Botanischen Garten von Posen zurück. Sie war dort nicht allein. Zahlreiche deutsche Offiziersfrauen mit ihren Kindern erlebten in Posen die Kriegsjahre bis 1918.
Opa Behn kam seine Enkelkinder besuchen, anscheinend allein. Das war vielleicht auf seinen Reisen nach Ostpreußen, wo er immer noch Freunde hatte, die auf ihren Gütern Entenjagden veranstalteten. Zum Ärger der Frauen seiner Familie stieg er begeistert durch die Sümpfe, obwohl er von Gliederschmerzen geplagt war, die sie Gicht nannten. Wenn es wirklich Gicht war, kam sie ja nicht durch Erkältung und Nässe. Aber er liebte dieses Leben in der Natur. Und er liebte Kinder!
Am 17. Mai 1917 heiratete Felix die 18jährige Erna Bénard, eine Kaufmannstochter aus Hamburg. Der Krieg hatte vielleicht der Spielsucht von Felix wenig Raum gelassen – aber ich meine mich zu erinnern, Konsul Bénard habe vor der Ehe seiner Tochter noch einmal Spielschulden von Felix beglichen.
Im gleichen Jahr wird Hermann Behn als Generalleutnant verabschiedet. Er darf sich nun Exzellenz nennen. Er ist jetzt 65 Jahre alt.
Im Mai 1918 kam Paul Liebert krank aus dem Krieg in Frankreich, bis Mitte Juli war er zu Hause in Posen, dann wurde er am 22.7.1918 „Zum Kommandeur des Pionier-Ersatz-Bataillons Nr. 10 ernannt“ „in Minden in Westfalen“ - „Vater bekam (wegen nervlicher Erschöpfung) ein Inlandkommando in Minden für ein ¼ Jahr!“ schreibt unsere Mutter. Die Familie zieht in eine möblierte Wohnung in Minden – verlängerte Schulferien für Ruth.
In dieser Zeit, am 10.10.1918, stirbt Felix Behn durch eine Fliegerbombe in Maubeuge bei St. Quentin. Er war auf dem Weg in den Urlaub. Seine junge Frau stand ahnungslos mit einer Tüte Tomaten, die man „Liebesäpfel“ nannte, auf dem Hamburger Hauptbahnhof.
Das Kriegsende naht, Hermanns Sohn ist im Oktober gefallen und im Dezember wäre sein Schwiegersohn Liebert fast von den meuternden Matrosen in Kiel erschlagen worden. Was der alte Soldat von diesem Krieg und der Niederlage gehalten hat, hat Edith mir gegenüber nie erwähnt. Teilte er die Ansicht seines Freundes Mudra, der zu den Vertretern der Dolchstoßlegende gehört? War er skeptischer? Hat er sehr um seinen Sohn getrauert? Oder war er fast erleichtert? Denn was hätte solch charakterschwacher Mensch als arbeitsloser Soldat gemacht? Diese Erleichterung war meiner Großmutter anzumerken. Denn schon der energische und gewissenhafte Paul Liebert, ihr Mann, hatte große Schwierigkeiten, als Frühpensionär sein Gleichgewicht zu wahren.
Ihren Vater hielt Großmutter ja für einen ausgesprochenen Verdränger. Das hatte er schon in seinem Elternhaus gelernt und in der Ehe mit Martha geübt.
1924 ließ Behn sich nicht ins Adressbuch von Berlin eintragen, obwohl er da wohnte. Es waren gefährliche Zeiten für alte Offiziere. Aber schon 1927 steht er wieder drin:
Berlin, Wilmersdorf, Nassauische Str. 5 II |
Hermann Behn, Gen.Lt. a.D., Exzellenz, Tel. 1576 |
Er bezieht Pension, Martha sorgt mit Hilfe der treuen Dienerin Anna für ein behagliches Heim, er hat in Berlin und in Ostpreußen alte Bekannte, die er häufig besucht, er ist freundschaftsfähig und macht es sich gern bequem
Zu Ruths Konfirmation in der Evangelischen Garnisonkirche Neiße durch Herrn Pastor Kusche am 28. März 1926 kommt das Großelternpaar aus Berlin nach Neiße.
Ruths Vater Paul schildert das in Ruths Gedenkbuch folgendermaßen:
Konfirmationsgäste: Die Großeltern aus Berlin, Onkel Walter Spohn und Tante Lisel aus Guhrau mit Bärbel, Onkel Erich Spohn und Tante Meta aus Hirschberg mit Evi und Klaus, Dorchen Vieweger (das ist die spätere Dorchen Langer) Neiße-Schulfreundin. Die Gäste wohnten im Hotel Kaiserhof, dort fand auch Mittags 1 Uhr das Essen statt. – Ich sprach das Tischgebet, Ulli sagte folgendes Verschen:
Tritt mit Gott hinein ins Leben –
Sei getreu stets Deiner Pflicht
Soll Dich Segen reich umgeben –
Dann vergiß das Beten nicht!
Darauf sprach Vater: M. liebe Ruth! Gedenke stets daran, was Dir unsere Ulli eben gesagt hat. Vergiß auch nicht Dein Elternhaus später im Weltenbraus, das Dir die Grundlagen, mit denen sich ein wahres deutsches Mädchen ihr Leben aufbaut, mit hinaus geben will, und gedenke auch stets in Liebe Deiner Verwandten, die Dir ja auch heute ihre Liebe zeigten, indem sie von weither herangereist sind, um Dir diesen bedeutsamen Tag zu einem schönen Erinnerungstage zu machen, die Dich mit Wünschen beglückt und mit Gaben
erfreut haben. – Möchten solche Familienfesttage in ihrem Ernste zu Merktagen für das deutsche Volk werden, aus denen Segen entsprieße zum Wiederaufbau unseres geliebten Vaterlandes! Und nun meine Lieben, Edith, der Kinder u. meinen herzlichen Dank für Eure lieben Wünsche und schönen Geschenke und euer Kommen zu Ruths Konfirmationstage. Ihr werdet in Eurer Liebe ihr diesen Tag unvergeßlich machen! Möchtet Ihr Euch alle – einschließlich unserer lieben Schulfreundin – wohl fühlen, möchte es Euch bekommen, damit auch Ihr eine angenehme Erinnerung an diesen Festtag bei uns habt! Mit unserem Dank trinken wir auf Euer Wohl! – Großvater dankte im Namen der Gäste .- Kaffee und Abendbrot richtete Muttel bei uns. Am Montag, 29. 3. fuhren die Gäste ab, die Großeltern blieben über Ostern bis 7.4.26.
Den Besuch der Großeltern zu Ullis Konfirmation am 6. April 1930 in Marburg hingegen lesen wir in Ruths Tagebuch. Sie ist damals 20 Jahre alt. Die Großeltern sind 76 und 78 Jahre. Ruth schreibt:
„Dienstag, den 1. April: ….Jetzt kommen bald die Großeltern – ich freu mich schon, Schlagsahne, Eier, Äpfel, Eis, Waffeln, Torte zum 60. Militärjubiläum Opas am 7., Auto zum Abholen – schon alles bestellt!...
Mittwoch 2.IV.30: Übermorgen kommen die Großeltern; Ullchen hat heute die letzte „Sing- und Sitzprobe“ zur Konfirmation.
Montag, den 7.IV.30: Puh, ooch, endlich einmal 1 Stunde Ruhe! Das lief u. rannte, schimpfte u. schwatzte u. lachte – keine Sekunde Ruhe seit der Großeltern Ankunftstag! Freitag vorm. gab’s noch so viel vorzubereiten…. in Glanz geschmissen – zur Bahn!
Na, und dann rollten sie sich aus dem Zug, die ollen Ochens – mit Mühe, Umständlichkeit, Schimpfen und Sorgen – der ganze D-Zug guckte zu! Froh waren wir, als sie endlich im Auto saßen mit Muttel u. Ullchen – Vatel u. ich – die Zufußgänger sahen uns an u. lachten! Mit ihrem Einzug ist, kann man dreiste sagen, die Ruhe und das Behagen zum Fenster raus geflogen – wo sollen die lieben Geister, die doch auch gewöhnt sind sich auszubreiten, auch neben der Dicke Platz finden. Omchen sprang nicht wie ein Backfisch zum Abteil heraus! trotz Hungerkur! Da konnten wir beruhigt sein. Ulli und ich kampierten nächtlicher Weile ganz gut im Salon – sie auf der Chaiselongue - ich auf der Erde u. erwachten Sonnabend zu neuer Unruhe u. Arbeit. Sie musste zur Schule, ich füllte meine Nougattorte, rannte dann zum Zahnarzt, der mir den 3. Zahn oben füllte, machte Besorgungen u. war zurück zum Essen – um … nicht essen zu können der Füllung wegen! So hatte ich wenigstens Zeit, die Großeltern zu nötigen – besonders Omi legt sehr Wert darauf – das Menü: Pilzsuppe, Rindfleisch (gekocht) mit Bechamelkartoffeln, Essigpflaumen und Senfgurken sagte ihr sicher auch nicht ganz zu, dem „bedrukten“ Opa aber desto mehr. Gleich nach Tisch lief ich armer nüchterner Wurm zur Beichte mit den Eltern und Ulli – von 2 – ¼ 3, ….Nach dem Abendbrot musste ich wie immer jetzt Verdauungstee kochen für den Opa – Omi trinkt, um auch ein interessantes Mittelchen zu haben u. sich das Air einer Kranken zu geben – Pepsinwein zu jeder Mahlzeit, der m. Ansicht nach nur dicke macht mit seiner Süße.
Während wir schlafen gegangen waren in unserm Schlafsalon, bauten die Eltern Ulli ihre Sächelchen u. Gratulationen auf – richtig, vorher kriegte Ulli noch ihre Uhr – entzückend ist sie – Omi wär sonst über Nacht geplatzt! Ich bekam als Mittebringe u. für’s Graecum eine bildhübsche blaue Ledertasche – passend zum Kostüm!
Sonntag – der Haupttag!
„Aber das ist meine Freude, daß ich mich zu Gott halte und meine Zuversicht setze auf den Herrn Herrn, daß ich verkündige all sein Tun!“ (Ps. 73,28) Ganz wundertief sprach Dr. Geller zu seiner Konfirmandenschar, einfach u. schlicht u. mir kollerten die Tränen als ich sie alle sah, die Mädelchen, sich ihrem Herrn geloben. „Gott, gib ihnen Kraft!“ So schön und vornehm sah mein Ullchen aus und so kindlich und doch bewußt gab sie Gott ihre Hand – halt sie ihr fest, mein Herr und Vater!...
… Das Abendmahl, sehr feierlich am Hochaltar … Die Großeltern, Tante (Mieze von Thümen) und Pöhli (Fräulein Pöhl, Miezes Haushälterin) fuhren während des durch Marburg – Omi wollte doch sehen! Wo wird sie nicht? Aber „liebe deinen Nächsten“ Ruth, u. rechte Liebe spottet nicht! Aber es ist so schwer, mitanzusehen, wie sie Muttel quält und Vatel beiseite schubst, mich vorzieht u. mit Ulli nichts anzufangen weiß, daß mir die Galle überläuft manchmal. ….
Freitag, den 11.IV.: Nachmittags um 4 fuhren wir zu Markees, der Großeltern Umständlichkeit u. Omis Egoismus machten die Fahrt nicht sehr genussreich. Abends las ich Omi vor aus den Buddenbrooks als mir selbst auferlegte Sühne f. meine „Frechheit“, die ich nach Ulli geg. die Großeltern an den Tag gelegt – na ja, pikiert war ich!“
Ruths Verhältnis zu ihren Großeltern ist schwierig. Dass sie gerade Eberhard von Mering kennengelernt hat, macht sie nicht milder.
Die schlesische Verwandtschaft, ihres Vaters Stiefmutter und seine Geschwister und Halbgeschwister stehen ihr so viel näher. Liegt das an dem Unterschied zwischen dem ländlichen Schlesien und der Großstadt Berlin? Oder vielmehr daran, dass Ruths Mutter Edith ihren Eltern entfremdet ist, während Ruths Vater Paul zärtlich an seinen Geschwistern hängt?
Der Tod von Hermann Behn am 21. Mai 1932 taucht in der reichen Familienüberlieferung nur als Lücke auf. Er stirbt ausgerechnet am Samstag nach Pfingsten, als Eberhard von Mering zum Stiftungsfest der Studentenverbindung AV vom 13. bis 23. Mai in Marburg ist und unsere Eltern 10 Tage lang nicht Briefe zu schreiben brauchen.
Am 2. Mai 1932 schreibt Ruth noch: „Es kommt aber noch besser: am Sonntag hatten wir längeren Brief der Omi – Opa und die Ärzte sind sehr hoffnungsfroh – er ißt und trinkt und befindet sich besser, so daß wir hoffen dürfen, ihn noch eine Weile behalten zu können – denn ob man mit 80 Jahren wieder ganz gesund wird, das weiß ich nicht….. Nun haben wir alle aufgeatmet, als die Sonntagspost kam….“ Es ist eine ganz kurze Passage in einem langen Liebesbrief, voller Vorfreude auf Eberhards Kommen.
So ist das Liebespaar noch zusammen. als am 21.Mai das Telegramm von Hermanns Tod aus Berlin kommt und Edith und Paul sofort nach Berlin abreisen. Sie bleiben zur Beerdigung dort, kein Wort über die Trauerfeier in Ruths Briefen, da die Enkelinnen nicht teilnehmen. Nur Klagen, dass sie und ihre Schwester so allein sind, nachdem auch Eberhard am 23. Mai abgereist ist.
Eberhard von Mering und Ruth Liebert in Hessentracht in einem Museum
Ruth berichtet Eberhard, dass keine Anzeigen zu Hermann Behns Tod gedruckt werden. Das solle er seinen Eltern sagen, denen ihre Eltern in einem persönlichen Schreiben den Tod des Großvaters mitgeteilt haben. Carl von Mering kondoliert den Lieberts in einem Brief. Aber auch der ist nicht erhalten.
Am 11. Juni 1932 macht sich Ruth große Sorgen um die Gesundheit ihres Vaters, der einen Husten nicht los wird, abgenommen hat und deswegen geröntgt worden ist. Da schreibt sie: „ …. doch ist’s eigentlich erschütternd, wenn man nachdenkt, daß einem Enkel der Großvater doch schon so fern steht, daß weiß ich ja von mir jetzt, daß man wohl still wehmütig an ihn denkt, aber eine niederbrechende Trauer ist es doch nicht, trotzdem ich meinen Opa sehr lieb gehabt. Ob das wohl auch daran liegt, daß ein Alterstod natürlichem Empfinden selbstverständlicher und drum schreckenloser ist? oder ist man wirklich so egoistisch, daß nur das, was man zum Atmen und Leben braucht, einem unersetzlich ist? An den Tod von Menschen, die einem das sind, vermag man nicht zu denken.“
Es ist das letzte Jahr der Weimarer Republik. Bei der Landtagswahl in Preußen am 24. April 1932 wird die NSDAP mit fast 37% stärkste politische Kraft. Eberhard schreibt am 25. 4. an Ruth: „Was sagt Ihr zu dem Wahlergebnis? Vater war sehr enttäuscht, dass die Rechten nicht durch sind. Wir hatten ganz bestimmt damit gerechnet. Vater hat bis ½ 2 nachts Radio gehört!! Vergebens! Jetzt wird’s im alten Trab weitergehen. Die Rechtsparteien haben ja erschreckend verloren. Dafür die Nazis großen Zuwachs (163 glaub ich).“ Das ist vielleicht der Augenblick, wo Carl von Mering in die NSDAP eintritt. Paul Liebert wird das nicht tun. Und Eberhard und Ruth erst recht nicht.
Unser Urgroßvater Hermann Behn, der preußische und kaiserliche Generalleutnant, Exzellenz, hat vor der Machtergreifung Hitlers diese Welt verlassen. Ohne jedes Aufsehen anscheinend. Trotzdem ist er nachweislich.
Auf meiner Homepage www.von-mering.de fand ich im Herbst 2020 folgende Anfrage:
Ihre Nachricht : Hallo und guten Tag. Bitte entschuldigen Sie meine fehlenden Deutschkenntnisse. Mein Name ist Javier E. Sanchez und ich bin Doktorand an der University of New Mexico in den Vereinigten Staaten und arbeite an einem Forschungsprojekt zum Führungskader der kaiserlichen deutschen Armee während des Ersten Weltkriegs (1914- 1918). Als Ergebnis fertige ich kurze biografische Skizzen von vielen Generälen an und versuche, wenn möglich, den Skizzen ein Bild hinzuzufügen. Aus diesem Grund suche ich Bilder von einem bestimmten General, den Sie vielleicht als Mitglied der Familie Behn kennen. Sie sind wie folgt: Generalleutnant Hermann BEHN (1852-1932) Ich hoffe aufrichtig, dass Sie mir bitte helfen können, Ihre Sammlung nach Bildern des betreffenden Generals zu durchsuchen. BITTE BEACHTEN SIE, dass Bilder des Generals willkommen sind und geschätzt werden, einschließlich Porträts, Zeichnungen, Gruppenfotos oder Schnappschüsse, die in jedem Alter und in Uniform oder Zivilkleidung aufgenommen wurden. Bitte beachten Sie, dass jedes Bild nur in einem wissenschaftlichen Kontext verwendet und nicht veröffentlicht oder an Dritte weitergegeben wird. Bitte beachten Sie, dass jede Hilfe sehr geschätzt wird und ich freue mich darauf, bald von Ihnen zu hören. Einen schönen Tag noch und vielen Dank im Voraus, dass Sie sich die Zeit und Mühe genommen haben, mir zu helfen. Mit freundlichen Grüßen, Javier E. Sanchez 367 Langley-Straße. Estancia, NM 87016 Telefonnummer. (505) 400-3192 E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Ich war etwas irritiert, habe meinen Sohn Jens und meine Nichte Sabine von Mering um ihre Meinung dazu gebeten. Dann habe ich geschrieben:
Sehr geehrter Herr Sanchez,
wie heißt das Thema Ihrer Doktorarbeit?
Sie schreiben, dass Sie kurze biographische Skizzen anfertigen – wozu?
Was soll das werden?
Und warum brauchen Sie dazu Bilder, noch dazu private?
Sie wollen das doch veröffentlichen – denn jede wissenschaftliche Doktorarbeit ist öffentlich und wird gedruckt.
Ich verstehe das nicht und wundere mich etwas.
Mit freundlichen Grüßen
Christa Lippold
Darauf schrieb Javier Sanchez:
Hallo und danke für deine Antwort. Ich entschuldige mich für etwaige Unklarheiten oder Verwirrung. Das Thema meiner Diplomarbeit lautet: "The German General Officer Corps 1914-1918, An Appraisal of Wartime Military Leadership." Die biographischen Skizzen sollen in einen Anhang aufgenommen werden, um zusätzliche Angaben zum Leben der Generäle zu machen. Die Bilder dienen der Veranschaulichung des Textes. Ich werde keine Bilder an Dritte weitergeben oder die Arbeit kommerziell vervielfältigen. Es ist zu erwarten, dass die Dissertation gedruckt und im Universitätsarchiv aufbewahrt wird. Natürlich wäre jedes Bild des Generals sehr willkommen und geschätzt. Nochmals vielen Dank für Ihre Korrespondenz und ich hoffe, dass ich jede Angst vor schändlichen Aktivitäten oder Doppelzüngigkeit zerstreut habe. Bitte beachten Sie auch hier, dass Quellen ordnungsgemäß genannt werden. In der Hoffnung, dass ich mein Willkommen nicht überschritten habe, freue ich mich, von Ihnen zu hören.
Mit freundlichen Grüßen,
Javier Sanchez
Estancia, NM
Die Antwort konnte ich akzeptieren und habe 2 Bilder von Hermann Behn abgeschickt, auch einige Daten zu seiner Laufbahn. Um den Text der Doktorarbeit habe ich gebeten.