Im Nachlass meiner Mutter Ruth von Mering, geb. Liebert, haben wir drei Kinder die Briefe unseres Vaters Eberhard von Mering gefunden. Sie hat sie alle treulich verwahrt, aber nach seinem frühen Tod als Soldat im II. Weltkrieg nie wieder gelesen.
Wir kennen unsern Vater nicht, denn ein kleines Kind kann einen erwachsenen Menschen nicht kennen, auch wenn es seine Fürsorge in den ersten Lebensjahren genießt. Wir lernen ihn aus seinen Briefen kennen, die er während einer siebenjährigen Verlobungszeit zweimal die Woche an unsere Mutter schrieb.
Von November 1933 bis März 1936 war unser Vater Vikar im Westerwald: zuerst im Pfarrhaus Betzdorf/Siegen, dann in Altenkirchen und zuletzt in Hilgenroth.
Die folgenden Briefe beschreiben seine Zeit in Altenkirchen vom 1. April bis Ende November 1934. Sie zeichnen seine Entscheidung für die Bekennende Kirche nach. Und sie sind zugleich eine Quelle für den Kirchenkampf im Westerwald. Sein Lehrherr war der Synodalassessor Pastor Heckenroth, NSDAP-Mitglied.
Am 17.3.1934 schreibt der Vikar Eberhard von Mering aus dem Pfarrhaus in Betzdorf/Siegen an seine Eltern in Rodenkirchen bei Köln:
„Meine Lieben!
Einen Sonntagsgruß sollt Ihr aber doch noch haben und zugleich die traurige Mitteilung, dass ich am 1. April nach Altenkirchen muss. Gestern kam von Heckenroth die Nachricht. Den Brief vom Konsistorium hat er nicht mitgeschickt. Wir vermuten hier alle, dass die 25, - RM nicht der eigentliche Grund sind, da ich doch darauf verzichten wollte1. Aber nun lässt sich nichts mehr machen. Jetzt ist der Würfel gefallen. Mein Pfarrer schrieb gleich an ihn zurück: „Da es nun einmal Gottes Wille ist, dass wir die Vikare austauschen sollen, wollen wir uns darunter beugen“!2 Es wird ihm und mir sehr schwer wieder voneinander zu gehen. Pfr. W. war mir ein väterlicher Freund und vor allem ein guter Lehrer und Seelsorger. Was werde ich von H. haben?! Er ist Kaufmann, Staatsmann, aber Pfarrer?!! Nun soll ich also mit den Pfunden, die ich hier erworben habe, Wucher treiben. Ich will’s, so gut ich kann, ich will nicht so sehr an Menschen hängen, sondern meinen Weg allein gehen mit dem Blick auf Gottes Willen und Befehl. Er hat mich bisher nicht verlassen und mir überall offene Herzen geschenkt; er wird mir auch in Altenkirchen weiterhelfen. Alfred kann sich freuen, nach hier zu kommen. Aber ich will’s ihm gönnen. Er hatte fünf schwere Monate, ich fünf schöne Monate, nun wird’s vielleicht umgekehrt sein; aber vielleicht werde ich mich bald auch in A. wohl fühlen, wer weiß? Denkt nur viel an mich im Gebet….“
Schlechte Voraussetzungen für einen Neuanfang, kann man denken. Von Mering ist offenbar voller Vorurteile gegen seinen neuen Lehrherrn. Die Kenntnisse dazu hat er von seinem Studienkollegen Alfred Zemke. Zemke und von Mering haben sich schon in Rodenkirchen gekannt, beide haben gleichzeitig 1933 in Koblenz Examen gemacht und beide sind in den Westerwald zur Vikarsausbildung geschickt worden, Zemke nach Altenkirchen und von Mering nach Betzdorf. Bei den monatlichen Seminaren hatten sie Gelegenheit, sich öfter zu sehen. Nun sollen sie ihre Stellen tauschen.
Der Austausch der Vikare hat natürlich einen Grund: Synodalassessor Pfarrer Ludwig Heckenroth ist mit seinem Vikar Alfred Zemke gar nicht zufrieden – und Zemke fühlt sich unglücklich. Wie Heckenroth auf die Idee kommt, ausgerechnet den Vikar von Pfarrer Winterberg statt Zemkes zu nehmen, weiß ich nicht. Das Konsistorium jedenfalls „genehmigt“ diesen Tausch und Winterberg muss sich fügen, weil Heckenroth der Ranghöhere ist.
Eberhard von Mering ist 24 Jahre alt. Seit einem Jahr ist er mit der Philologiestudentin Ruth Liebert in Marburg verlobt. Am 3. April 1934 beschreibt Eberhard für Ruth seine Ankunft in Altenkirchen. Die fand am 1. April, dem 2. Ostertag statt: „In Altenkirchen holte mich Alfred ab; ich war schon um 8 hier. Vom Bahnhof bis zum Pfarrhaus hat man ungefähr 10 Minuten zu laufen durch die Haupt- und Geschäftsstraße. Das Pfarrhaus ist viel prächtiger als das Betzdorfer, noch ziemlich neu und hübsch eingerichtet. Aber still und tot ist’s hier. Pfarrer H. begrüßte mich nicht sehr freundlich; er hat eine sehr schnoddrige, oberflächliche Art. Gibt einem nur die Fingerspitzen und sieht einen kaum dabei an…. Ich hatte der Tochter als Begrüßung einen Blumenstrauß mitgebracht; damit hatte ich gleich den „guten Eindruck“ weg!! Nachdem mich H. über den Gang des Gottesdienstes instruiert hatte, wurde ich gnädig entlassen. Alfred fuhr kurz nach 9 nach Almersbach, wo er den Gottesdienst hatte. Ich lernte dann auch noch meine Predigt. Um 10 Uhr ging ich zur Kirche; die ist bedeutend größer als die Betzdorfer und war sehr gut besucht. Fräulein Heckenroth meinte, sie sei besser besucht als am 1. Ostertag. Was die Neugierde nicht alles bewirken kann! Vorm Altar musste ich mich sehr anstrengen, da die Akkustik sehr schlecht ist. Dagegen spricht man von der Kanzel aus wesentlich besser. Ich war etwas befangen und fühlte mich nicht so frei wie sonst. Doch war man sehr zufrieden, wie ich nachher von den Presbytern hörte. Ich begrüßte nach der Predigt das Presbyterium, um möglichst bald in Verbindung mit der Gemeinde zu kommen; davon verspreche ich mir nämlich sehr viel. Einer lud mich ein, in die Gemeinschaftsstunden zu kommen, die in einem Außenort gehalten werden. Das will ich auch demnächst mal tun. Alfred kam zum Essen wieder zurück….
Heckenroth war am Abend sehr nett. Wir schmiedeten Arbeitspläne. Ich soll den Kindergottesdienst ganz übernehmen, außerdem Jugendarbeit. Wie die aufgezogen werden soll, will er mir allein überlassen…. Nächsten Sonntag soll ich in Hamm predigen. Da soll ich noch mal die Osterpredigt halten. Ich muss sie aber etwas umarbeiten. Als ich Hausbesuche erwähnte, wurde er unruhig. Die seien nicht so nötig! Das ist sein Standpunkt. Aber ich werde doch gehen. Ich halte sie für sehr wichtig sogar. – Wie sich sonst meine Arbeit gestaltet, weiß ich nicht. Ich werde mir selbst überlassen und kann mich mit Büchern befassen. Auch eine Art der Betätigung; die erste Woche lasse ich mal vergehen und warte ab. Sonntag fahre ich nach dem Gottesdienst nach Hause u. bleibe möglichst bis Dienstag. Dann soll hier die Arbeit losgehen. Den Unterricht will er mir auch überlassen. Er hat dies Jahr die Katechumenen, Pfarrer Maas die Konfirmanden. Das wird also auch ganz nett werden. – So sieht’s vorläufig bei mir aus, Liebes. Eben kommt meine Kiste mit Büchern und Wäsche aus Betzdorf. Nun geht’s ans Auspacken….“
Das Lehrvikariat war nicht umsonst. Eberhard von Mering hat schon am 27.10.1933 um einen Gebührenerlass gebeten. Er begründet: „Da mein Vater schon seit Jahren arbeitslos ist und für ihn als älteren Künstler (Bildhauer) wenig Aussichten auf größere Aufträge bestehen…“Und führt an: „Während meiner ganzen Studienzeit war ich schon auf Gebührenerlass angewiesen und erhielt auch hier und da eine Unterstützung von meinem Pfarrer oder der Synode Köln. Mein Vater erhält die monatliche Unterstützung eines Kleinrentners in Höhe von 57,20 M. und ist nicht in der Lage, meine Lehrvikariatskosten zu finanzieren.“ Trotzdem muss Eberhard von den geforderten 240 M. „schleunigst“ 80 M aufbringen.
Bei den Pfarrern lebte damals der Vikar wie ein erwachsener Sohn. Er hatte sein eigenes Zimmer, nahm an den Familienmahlzeiten teil und erhielt von der Behörde eine Art Taschengeld. Sein Lehrherr bestimmte über die Zeit, die er seinem Vikar widmen wollte, und über die Aufgaben, die er ihm stellte. In der Familie Winterberg hatten noch drei von fünf Kindern im Hause gewohnt, auch die beiden in Ausbildung kamen oft heim, man hatte Musik und eine häusliche Geselligkeit gepflegt. Dadurch war es dort lebhaft und lustig zugegangen. Ludwig Heckenroth hingegen war verwitwet, seine einzige Tochter führte ihm den Haushalt. Er war 1934 schon seit 43 Jahren Pfarrer in Altenkirchen, war 67 Jahre alt. Das ist erwähnenswert. Doch ist es nicht der Grund, warum die beiden Männer nicht miteinander auskommen werden.
Am 11. Mai schreibt Eberhard an Ruth: „Gestern hatte ich einen sehr schönen Tag; morgens war ich hier zum Gottesdienst bei Pfarrer Maas; um ½ 12 Uhr fuhr ich mit einem „Boten“ der Evangelischen Gesellschaft3 zu einer Evangelisation nach Werkhausen. Da mussten wir erst ½ Stunde mit dem Postauto fahren und dann noch eine ½ Stunde zu Fuß durch Felder und Wiesen laufen. Das Wetter war herrlich; der Mann, ein Herr Hehr hier aus Altenkirchen, den ich in der Stunde bei Herrn Müller4 kennen gelernt habe, ein richtiger Apostelkopf, war überaus freundlich und nett. Werkhausen ist ein Dörflein mit nur ganz wenigen Häusern; nur Bauern gibt es dort. Herrlich ist die Landschaft. Von einem Berge aus konnten wir den ganzen Westerwald übersehen, der jetzt im Frühling von einer ganz besonderen Schönheit ist. Um ½ 1 Uhr waren wir in dem Haus, wo Herr Hehr uns zum Mittagessen angemeldet hatte; eine Bauernfamilie mit 5 Kindern, eine echt christliche Familie; die Mutter ist eine Schwester des bekannten Evangelisten Daniel Schäfer; der hier im Westerwald einen großen Ruf besitzt; auch Pfarrer Winterberg kennt und schätzt ihn. Nach dem Essen, das gut u. überaus reichlich war, gingen Herr Hehr, Herr Hassel (der Bauer) und ich etwas spazieren. Von zwei bis drei Uhr zog ich mich etwas zurück, um mir meine Predigt schnell noch einmal durchzusehen. So langsam kamen die Gäste heran (einige hatten einen Weg von über zwei Stunden, den sie zu Fuß machten!) Pfarrer Schareina, zu dessen Gemeinde Werkhausen gehört, kam mit seinem Jungfrauenverein und einer Musikgruppe. Als wir um drei Uhr anfingen, waren etwa 100 Leute da. Herr Hassel hatte auf seiner Wiese unter schattigen Obstbäumen Bänke aufgeschlagen, nur der Redner musste in der Sonne stehen! Herr Hehr begrüßte alle, die gekommen waren und erteilte dann Pfarrer Sch. das Wort; der sprach über ein Wort des Eph(eser).-Briefes; nach ihm sang der Jungfrauenverein und die Musikgruppe spielte einige Lieder. Darauf kündete Herr H. den „Festredner“ in Gestalt des Herrn Vikar von Mering aus Altenkirchen an. Angst hatte ich gar keine; die ganze Situation war so schön und man fühlte sich so fest mit den Leuten verbunden als ein Volk des Herrn, das ich ganz frei war. Meine Predigt ging über Jak. 1, 16 – 22, die ich in A. schon gehalten hatte. Als ich fertig war, sagte Herr H. zu mir: „Nicht wahr, Herr Vikar, das Wort wurde gut abgenommen!“ Ich verstand gleich, was er damit meinte und musste ihm zustimmen. Ich hatte ganz deutlich das Empfinden, dass ein Band der Gemeinschaft zwischen mir und den Leuten war und dass sie meine Predigt miterlebt hatten, so wie ich es ihnen zu verstehen geben wollte…..
Um 8 war ich daheim. Heckenroths hatten schon gegessen; sie erwarteten für den Abend noch Gäste; H. wollte bei einigen Flaschen Wein den 40. Hochzeitstag feiern. Danach stand mir nun gar nicht mehr der Sinn und ich hätte mich gern davor gedrückt. Dieser Abschluss passte nicht zu meinem Erleben in Werkhausen. Aber ich hätte ihn beleidigt, wenn ich abgesagt hätte. So musste ich denn in den sauren Apfel beißen und wahrhaftig, es war kein Vergnügen! Man unterhielt sich schrecklich oberflächlich über Weinsorten, Hunderassen etc. und ich saß dabei höchst gelangweilt. Zudem war ich auch ziemlich müde und sehnte mich nach meinem Bett. Aber H. ließ nicht locker, um ½ 1 Uhr machte er endlich mit seinem Gelage Schluss. Heute morgen wurde ich erst um 8 Uhr durch das Telphon wach…
Meine Bibelstunde für 14 – 18jährige Knaben war das letzte Mal schon von 12 Jungens besucht. Ich bin so dankbar für diese Arbeit. Samstag und Sonntag nach Pfingsten will ich mit Bibelschar und Bibelgruppe eine Fahrt machen…“
Am 18. Mai schreibt von Mering: „Heute abend von 5 – 7 Uhr hatte ich meine Bibelschar, die heute schon auf 35 Teilnehmer angewachsen ist. Nun muss ich aber bald Mitgliedersperre einführen. Die Jungens wachsen mir sonst über den Kopf. Ich wollte eigentlich nur einen kleinen Kreis gehabt haben und hatte hier in Altenkirchen gar nicht mit diesem Erfolg gerechnet … Hat doch gerade meine Predigt am vorigen Sonntag die Herzen der Gemeinde für mich gewonnen, so dass sie mich jetzt schon über Alfred stellt, der gewiss auch ein tüchtiger Prediger ist. Mir will es gar nicht in den Sinn, dass meine armen Worte, mit denen ich doch immer noch so sehr ringen muss, solchen Eindruck machen. Was man aber an meiner Predigt so gern hat ist dies, dass die Leute empfinden, wie sie ganz aus mir heraus gewachsen ist, dass es keine „Rede“ ist, sondern selbst erlebtes Wort Gottes. Das ist eine große Gnade und macht mich gar nicht stolz, im Gegenteil sehr demütig; ich weiß genau, dass ich nichts, aber auch gar nichts zu bringen habe, sondern alles schafft Gott in mir. Und die Leute wissen auch nicht, wie viel Mühe es mir jedes Mal wieder macht, eine Predigt anzufertigen und vor allem nachher auswendig zu lernen. Sonntag in acht Tagen muss ich sehr wahrscheinlich nach Hilgenroth, da Pfarrer Korst ernstlich erkrankt ist; in vierzehn Tagen habe ich wieder hier in Altenkirchen zu predigen; dafür muss ich wieder eine neue Predigt anfertigen, in H. verwende ich meine Pfingstpredigt noch mal.“
Eberhard von Mering geht seinem Ausbilder so weit wie möglich aus dem Weg. Einmal schreibt er: „Frl. Heckenroth hatte mich nämlich mittags gefragt, ob ich dann noch Abendessen haben wollte, wenn ich so spät heim käme; da habe ich gleich nein gesagt. Ich habe so viel liebe Menschen, die mir ein Schnittchen geben und mit denen ich lieber zusammen bin als mit den überfreundlichen Pfarrersleuten…“
Das geht so hin. Aber am 28. Mai kommt es zum ersten Zusammenstoß zwischen dem alten und dem jungen Mann. Eberhard schreibt: „Heute bin ich mal wieder recht verzagt und sollte doch eigentlich so dankbar sein für all die Liebe, die ich überall finde. Ich hatte aber heute einen heftigen Zusammenstoß mit meinem Chef, den ich zum Teil wohl auch selbst verschuldet hatte. Die letzten Tage war ich infolge des Besuchs der Kölner Buben5 mehr in Michelbach bei Schneiders6 als hier im Pfarrhaus. Ich blieb auch zum Abendessen dort, weil mich die Leute immer wieder so herzlich einluden und sich sichtlich freuten, wenn ich bei ihnen blieb. Ich nutzte denn auch die Gelegenheit aus, um mit den Jungen möglichst viel zusammen sein zu können. Zwei Abende waren Heckenroths auch nicht zu Hause, so dass mein Fehlen gar nicht auffiel, aber gestern abend hatte er mich erwartet und ich kam nicht, weil ich von Schneiders wieder eingeladen worden war und wir nach dem Essen alle zusammen in die Stunde zu Herrn Müller gehen wollten… Heute morgen lässt mich nun H. auf sein Zimmer bitten und schreit mich an von wegen „kein Taktgefühl“, dass ich den Leuten immer lästig wäre usw., dass ich ganz erstarrt war. Wusste ich doch selbst zu gut, dass Schneiders aus reiner Liebe und Christlichkeit mich zu sich gebeten hatten und dass bei ihnen niemals der Gedanke von Lästigfallen aufgekommen sei….
Die Folge der Auseinandersetzung ist nun, dass er mir einen festen Arbeitsplan geben will, damit ich nicht so viel in die Gemeinde laufe; ich soll nun in der Gemeinde nichts mehr tun dürfen ohne seine Erlaubnis. Das bedeutet faktisch, dass ich nun in meinem Zimmer eingesperrt bin und mich nicht aus ihm entfernen darf ohne von ihm kontrolliert zu werden. Ich kenne den Grund genau; er hat erfahren, dass man in der Gemeinde überall gut von mir spricht und er will nicht, dass ich ihm seinen Ruhm streitig mache; er will der kleine König und Tyrann bleiben. Bezeichnend ist nämlich, dass er heute abend wieder so freundlich zu mir ist als sei gar nichts zwischen uns vorgefallen, er weiß ja nun, dass er mich in seiner Gewalt hat und das ist das Einzige, was er will. Wichtig und interessant war mir auch als er heute morgen zu mir sagte, meine Jugendarbeit sähe er sich noch eine Zeit lang mit an!! Das heißt: er sieht auch hier, wie ich mir die Herzen der Eltern gewinne und das darf auf keinen Fall geschehn, da muss er ja zurücktreten.
….schmerzlich ist mir nur, dass ich jetzt wieder so verschiedene Freunde enttäuschen muss, die mich gebeten hatten, ihnen mal eine Bibelstunde zu halten. Gestern war doch tatsächlich ein junger Mann aus der Gemeinde Birnbach bei Herrn Müller und bat mich, ihnen doch noch einmal eine Stunde zu halten, meine Evangelisation in Werkhausen sei doch zu schön gewesen. Herr Müller bat mich, ihn in der nächsten Woche im Missionsverein zu vertreten – aber alles werde ich ablehnen müssen, da ich nicht arbeiten darf. Welchen Zweck H. damit letztlich verfolgt ist mir unklar, ich weiß nur nicht, wie er es nachher vor Gott verantworten will, dass er seine Gemeinde so leiden lässt unter seinem Starrsinn. Frau Ferber und Frau Kramer wollen schon mit ihm sprechen, damit ich die Missionsstunde halten soll; aber ich habe ihnen nicht viel Hoffnung gemacht.
Ich habe heute zum ersten Mal auf den Knien gelegen und meinen Gott angerufen, dass er mir Klarheit gebe und mir zeige, wie ich zu handeln hätte und da hieß es in mir immer: Geduld, Geduld! Eine harte Schule …“
An diesem Tag trifft sich in Wuppertal-Barmen die Rheinische Evangelische Synode. Vom 29. Mai an arbeitet sie an der „Barmer Theologischen Erklärung“ und nennt sich „Bekenntnis-Synode“. Am 31. Mai ist sie abgeschlossen. Wann Pfarrer Heckenroth und sein Vikar von dem „Barmer Bekenntnis“ erfahren, weiß ich nicht.
Am 2. Juni schreibt Eberhard: „Heckenroth ..ist ja augenblicklich wieder sehr freundlich und zugänglich, aber seine Launen sind wandelbar wie die Farben des Chamäleons. Gestern war ich zum ersten Mal seit dem Krach am Montag mal wieder in Michelbach, wo ich all die Freunde beim Heumachen fand. Mit allen habe ich ein „Schwätzchen“ gehalten. Herr Schneider u. seine Frau waren sehr empört über das Vorgehen H’s. Andere Bekannte hier aus Altenkirchen, die auf mir rätselhafte Weise auch von dem Streit gehört hatten, waren so in Zorn, dass sie zu H. hingehen wollten. Ich musste überall die erhitzten Gemüter beruhigen und ihnen zu verstehen geben, dass ich den Vorfall gar nicht so tragisch nähme und sie bäte, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Es ist mir gar nicht lieb, dass meine Person so in den Vordergrund gestellt wird. Dazu bin ich wahrhaftig noch viel zu unbedeutend.“
Diese Auseinandersetzungen entspringen aus einer Konkurrenz, die durch einen Generationenkonflikt verschärft wird. Sicher ist der Vikar frischer als der alte Pfarrer, belastbarer und heiterer. Und beiden liegt sehr viel an Anerkennung. Aber ein theologischer Unterschied zeichnet sich doch auch schon ab. Ludwig Heckenroth vertritt die verordnete Amtskirche, während es von Mering um eine lebendige Gemeinde geht. Vielleicht kann man sagen: Heckenroth will den Bestand wahren, von Mering will ihn mehren. Die Unruhe, die dadurch notwendig entsteht, ist dem alten Mann unangenehm. Eberhard schreibt schon am 14. Mai: „Morgen abend soll ich im Jungfrauenverein eine Bibelstunde halten, wie mir heute unsere Frieda mitteilte. Die jungen Mädchen hatten mich schon mal darum gebeten, ihnen eine Stunde zu halten, weil sie augenblicklich ohne Führer sind und sich nur kümmerlich durchschlagen, aber Pfarrer H. will ja nicht, dass ich mich so sehr zersplittere. Aber je mehr Arbeit ich habe, desto zufriedener bin ich; man sieht sich dann doch wenigstens zu etwas nütze in der Welt.“
Im Brief vom 2. Juni schreibt Eberhard von Mering weiter: „… Ich weiß nicht, ob Dir diese Art der Gemeinschaftschristen so liegt. Ich habe ihnen jedenfalls sehr viel zu verdanken und hole mir immer wieder bei ihnen Anregungen für meine Arbeit. Wie viele Pfarrer haben doch diese schöne Angewohnheit, ihre Predigt mit einem gläubigen Christen aus der Gemeinde vorher zu besprechen, weil man unter diesen einfachen Menschen oft wunderbare Gotteskinder finden kann; und man selbst ist doch gezwungen, jeden Sonntag eine Predigt zu halten, wie leicht kann man da in Oberflächlichkeit geraten. Da tun solche Besprechungen mit ernsten Christen oft ihr Wunder. Am Sonnabend war ich auch gar nicht so recht mit mir zufrieden und meine Predigt wollte mir gar nicht recht gefallen. Da ging ich auch zu Herrn Schneider und schüttete ihm mein bekümmertes Herz aus. Er wusste mir so ermutigend zuzureden, dass ich nachher ganz getrost nach Hause gehen konnte. Und meine Predigt über 2. Kö. 18, 1 – 8 fand gestern so große Zustimmung in der Hilgenrother Kirche, dass ich ganz beschämt war…..
Herr und Frau Pfarrer Korst … drückten mir beide in großer Herzlichkeit ihre Liebe und ihre Dankbarkeit für meine Vertretung aus …Es wurde ihnen so schwer, von Hilgenroth fort zu gehen; Frau Pfarrer Korst standen die Tränen in den Augen, als sie mir sagte: „Herr Vikar, beten Sie für uns!“ Ach, es sind so arme Menschen, wenn ihnen die Gesundheit fehlt, wo sie mit aller Liebe an ihrer Arbeit hängen und nichts tun können. Und wie viel Pfarrer sind daneben, die lieber heute als morgen die Arbeit an den Nagel hängen würden, denen es ganz gleichgültig ist, was aus ihrer Gemeinde wird.
Frl. Heckenroth gab mir ein Extrablatt über die unglaublichen Vorfälle in München zu lesen; das ist ja ganz furchtbar, was alles noch in unserm Vaterland vor sich geht. Wie wunderbar ist doch Hitler bisher immer noch vor allem Unheil bewahrt worden; man kann doch in rechter Angst um ihn sein. Seine Maßnahmen, die er gleich getroffen hat, sind wieder ein Zeugnis von seinem großen Charakter; ich muss sagen, dass ich vor ihm alle Achtung habe; aber leider können sich seine Gedanken niemals in aller Reinheit entfalten, weil sich da Weltanschauung und Weltanschauung gegenüberstehen. Der Kommunismus und die Sozialdemokratie lassen sich nicht so ohne weiteres durch Gewalt überwinden. Eine Einigung ließe sich nur durch das Christentum herbeiführen und da versagen eben leider so viele Pfarrer. Das Wort Jer. 2, 13 (Denn mein Volk tut eine zwiefache Sünde: mich, die lebendige Quelle, verlassen sie und machen sich Zisternen, die doch rissig sind und kein Wasser geben) ist ja leider doch zu wahr, auch unter der Geistlichkeit. …..“
Bei den „unglaublichen Vorfällen in München“ muss es sich um das vermutete Attentat von 1934 handeln, das nicht genau geortet werden kann. Vielleicht war es auch nur eine Widerstandsgruppe, der man ein Attentat zuschrieb. Eberhards Reaktion darauf ist typisch. Er will keinen politischen Umsturz. Er ist konservativ und bürgerlich erzogen. Sein einziges Anliegen ist es, die Predigt des Evangeliums frei von staatlichen Einflüssen zu halten. Er fährt fort:
„Hausbesuche kann ich jetzt auch so schön machen; Freitag war ich den ganzen Nachmittag unterwegs gewesen. Da habe ich mal Familien besucht, bei denen ich sonst noch nicht gewesen bin. Die Leute freuen sich aber auch alle immer so sehr über den Besuch eines Pfarrers (Dass ich hier mit „Herr Pfarrer“ angeredet werde, ist mir schon bald zur Gewohnheit geworden) Der Unterricht macht mir viel Freude; die Kinder lernen sehr fleißig und ich halte sie alle in Ordnung; wer nichts kann, muss seine Sache fünf mal abschreiben…. ich muss sonst sagen, dass ich mit den 93 Kindern sehr zufrieden sein kann. Pfarrer Maas7, der die Konfirmanden hat, klagt immer über die Ungezogenheit der Jungens, meine sind so artig. Vielleicht kommt es auch daher, weil ein Teil von ihnen in der Bibelschar ist, wo wir uns näher stehen und dass sie deshalb nicht darauf aus sind, mich zu ärgern.“ An die Möglichkeit, dass unter den Konfirmanden Antisemiten sind, scheint Eberhard nicht zu denken.
Der Sommer kommt. Vom 10. Juni bis zum 10. Juli nimmt Pfarrer Heckenroth Urlaub. Vom 16. Juli bis zum 8. August kann Eberhard mit seiner Verlobten in Rodenkirchen bei seinen Eltern Urlaub machen.
Am 27. September schreibt Eberhard an Ruth: … „Wie sehr ich an Altenkirchen hänge, das ist mir jetzt klar geworden, wo ich wahrscheinlich Ende Oktober von hier fortgehen soll; ich weiß, dass das für mich einen schweren Kampf geben wird, nicht nur der Abschied von Schneiders und deren großer Liebe und Anhänglichkeit, sondern von allen Menschen, denen ich hier in der Gemeinschaft nahe gekommen bin. Ich höre es ja immer wieder, dass sie mich gern haben und umgekehrt ist es ja auch der Fall.…. Meine Arbeit wird mir von Tag zu Tag lieber. Heute Nachmittag will ich mal wieder verschiedene Hausbesuche machen….
H.s Einstellung zur augenblicklichen Lage ist wie ein schwankendes Rohr (und alles nur, um seinen Posten als Dekan zu bekommen); auf der einen Seite schimpft er über den Reichsbischof8, auf der andern Seite erkennt er ihn an; ja vor einigen Tagen gab er mir die Zeitung der D. C. mit den Worten: „Lesen Sie sich das mal durch, dann sieht man manches doch ganz anders an.“ Das Presbyterium und Pfr. Maas möchten gern eine Evangelisation. H. hat sich mit dem einzigen D.C.-Presbyter zusammengesetzt und beide haben ausgemacht, dass diese Evangelisation nicht stattfinden sollte, weil sonst die Gemeinde „beunruhigt würde“! Ach, und eine Beunruhigung täte ihr so dringend not. Hier schläft alles. Der Kirchenbesuch lässt nach; es ist überhaupt kein religiöses Leben. Es wird alles getan, um die Leute ja nicht aus dem Schlaf aufzuwecken, sonst würden sie ja auch schließlich merken, was sie für einen Pfarrer haben. Dass die ernsten Christen darüber ungehalten sind, lässt sich ja denken. Aber wenn H. nicht will, kann die ganze Gemeinde dagegen sein, es wird doch seine Meinung durchgesetzt. Ich kann ja persönlich über ihn nicht klagen; wir kommen sehr gut miteinander aus, nur in der Auffassung des Amtes eines Pfarrers sind wir verschiedener Ansicht; aber darüber sprechen wir nicht miteinander. Manchmal möchte ich ihm ja meine Meinung sagen, aber dann schließt mir die Ehrfurcht vor dem Alter doch immer den Mund zu. Und es ist ja auch besser so; später kann ich es immer noch anders machen. ….…. Für Marburg will ich mal die letzten Tage im Oktober fest halten. Das ist ein ganz guter Gedanke; zudem soll ich meine Abschiedspredigt auch schon am 21. halten; weil da an sich H. den Gottesdienst hat. Aber es ist ja noch immer nicht bestimmt, ob ich nun fortkomme oder nicht. Ich lebe in einer dauernden Spannung, was nun eigentlich aus mir werden soll. Gar zu gern wäre ich nach Hilgenroth zu Herrn Pfarrer Korst als Vikar gegangen; aber das wird wohl nicht geraten. Und schließlich ist es auch besser, wenn ich mal in eine größere Gemeinde hineinkomme, obwohl ich darnach gar kein Verlangen trage. Ich muss ja auch Zeit haben, um mich auf mein zweites Examen vorzubereiten, das wird mir doch nicht geschenkt.“
Warum Eberhard glaubt, dass er Altenkirchen verlassen muss, weiß ich nicht. Vielleicht war ein halbjähriger Wechsel der Ausbildungsstelle von der Kirchenleitung vorgesehen. Die Kommunikation mit der Behörde ist denkbar schlecht. Auch sonst fehlt es in Altenkirchen an Informationen. Man sieht, wie Eberhard sich mühsam und oft nur über Gerüchte auf dem Laufenden hält. Pfarrer Heckenroth bietet ihm eine Zeitung der Deutschen Christen zur Information an, aber Eberhard misstraut diesem Medium. Der Abstand zwischen den Überzeugungen seines Lehrherrn und den seinen wird größer.
Altenkirchen, 2. 10. 34: „…. Sonntag habe ich wieder viel Schönes gehabt. Morgens hielt Pfr. Maas eine sehr feine Erntedankpredigt über: Ich bin das Brot des Lebens (Joh. 6). Um 1 Uhr fuhr ich mit meinen Michelbacher Freunden zur Hohengrethe. Pfr. Kruse-Waldbröl hielt zuerst Abendmahlsfeier, dann begann die eigentliche Konferenz. Thema: Warum kommt das neue Leben bei so wenigen in Kraft. (2. Petr. 1, 3 – 11) anschließend an das Referat war Aussprache, zu der man aufgefordert wurde. Ich hatte mich zum Glück etwas vorbereitet u. kam auch als 2. schon dran (erst Herr Müller). Ich war aber ganz unbefangen und frei. Um ½ 6 Uhr war die Konferenz zu Ende. Da wir Altenkirchener noch bis ½ 8 Uhr Zeit hatten, tranken wir erst noch Kaffee und aßen Kuchen. Otto hat wieder alles für mich bezahlt. Um 8 waren wir dann wieder hier. Ich ging mit zu Sch(neider)s zum Abendessen und nachher saßen wir noch bis 1 Uhr zusammen, erzählten und sangen. Otto brachte mich dann ein Stück heim. Wir denken jetzt schon immer voller Furcht an den 31. Oktober, wo wir Abschied nehmen müssen. Otto sagte mir, das Hilgenrother Presbyterium habe einstimmig beschlossen mich als Vikar zu wählen. Sie wollen alle an Pfr. H. herantreten. Ich glaube ja nicht, dass es gerät; aber ich freue mich, dass sie mich haben wollen. Die ganze Gemeinde soll für mich sein. Aber vermutlich wird jetzt doch bald das Predigerseminar eröffnet. Dann fände ich ein Unterkommen….“
Aber schon eine Woche später ist Eberhard guter Laune: „Altenkirchen, 9. 10. 34… Von mir kann ich nur das Beste berichten. Ich bin kerngesund u. mopsfidel, wiege Netto 150 µ, bin 1,80 groß und bleibe bis zum 1. Januar in Altenkirchen. Mein Chef war in Düsseldorf u. brachte diese Nachricht mit. … Kommenden Sonntag bin ich in Hilgenroth und freue mich schon, Pfr. Korst wieder zu sehen, der so lange krank war. …“ Offenbar war Pfarrer Heckenroth gar nicht so unzufrieden mit seinem Vikar und hat nun eine Verlängerung seiner Tätigkeit in Altenkirchen erwirkt. Und auch Eberhard will gerne bleiben. Ist also alles in Ordnung?
Nur vier Tage später kochen die Spannungen zwischen Pfarrer und Vikar wieder auf:
„Altenkirchen, den 13. 10. 34….. Nun stehen mir die Gemeinschaftsleute auch besonders nahe, weil ich immer in ihren Stunden bin. Wir kennen uns jetzt sehr gut und sind uns in unserer religiösen Einstellung ziemlich ähnlich. Leider bekam mein Chef gestern morgen mal wieder den Vogel, mir den Besuch der Stunden bei Herrn Müller zu verbieten. Er meint, die Leute würden Anstoß daran nehmen, dass ich immer in die Gemeinschaft lief und die anderen Michelbacher, die nicht dazu gehörten, kämen deswegen auch zu mir nicht mehr in die Kirche. Darauf hat mich Frau Schneider gleich eines Besseren belehrt, indem sie mir verriet, dass sogar Leute, die jahrelang nicht mehr zur Kirche gegangen seien, nun kämen, wenn ich den Gottesdienst hätte. Und bisher habe ich auch noch niemanden gesehen, der meinetwegen nicht zur Kirche gekommen ist. Ich glaube vielmehr, dass es die Leute für richtig halten, wenn sich der Pfarrer um alles kümmert, was kirchliche und religiöse Dinge angeht. Aber wenn H. mich so anranzt, kann ich nie richtig meine Meinung sagen. Dafür habe ich zuviel Respekt vor dem Alter und vor allem ist er es ja, der mir nachher mein Zeugnis ausstellen muss. Ich glaube nun ganz bestimmt, dass er im Grunde mit mir zufrieden ist; sonst hätte er mich nicht noch länger hier behalten; denn er ist durchaus ein Mensch, der auf seinen Vorteil aus ist. Aber bei seiner Launenhaftigkeit weiß ich nie, wo ich bei ihm eigentlich dran bin. Wenn er eben noch furchtbar gepoltert hat, kann er im nächsten Augenblick wieder katzenfreundlich sein. Und das gefällt mir so wenig an ihm. Er ist listig und verschlagen wie ein Fuchs. Ein Beispiel: Gestern abend war Gebetsstunde bei Müllers. Nun traute er mir doch noch nicht zu, dass ich seinen Befehl oder vielmehr sein Verbot des Besuchs beachtete. Die Stunde fing um ½ 9 Uhr an; da rief er mich um ¼ nach 8 Uhr zu sich auf sein Zimmer und besprach mit mir eine Predigt bis es ¼ vor 9 war, wo ich nicht mehr fort konnte. Und als ich um 10 doch noch mal fort ging (ich hatte an Edith einen Brief9 geschrieben und wollte Otto noch sprechen, der in der Stunde war) da hat er doch genau acht gegeben und kam um ½ 11 Uhr auf Strümpfen (!) die Treppe herunter, um zu kontrollieren, ob ich wieder daheim wäre. Heute morgen sagte er so nebenbei: Sie waren wohl gestern abend noch einmal fort! – Schön ist das gerade nicht, wenn man so beobachtet wird. Aber ich kann ihm wenigstens immer aufrichtig sagen, wo ich gewesen bin und was ich mache. Seine Abneigung gegen die Gemeinschaft beruht auf seiner kirchenpolitischen Einstellung; er tendiert immer mehr zu den D.C. hin und die Gemeinschaft steht ganz zu der Bekenntnisfront. Nun möchte er mich gern vor ihrem verderblichen Einfluss bewahren und macht Pfarrer Winterberg die größten Vorwürfe, dass er seine Vikare mit den Gemeinschaftskreisen in Verbindung bringt. Ich war ihm durchaus dankbar dafür! Aber: De gustibus est non disputandum!“
Zum ersten Mal benennt von Mering den kirchenpolitischen Unterschied zwischen ihm und seinem Lehrherrn mit den offiziellen Termini: D.C. und BK. Und er stellt fest, dass Heckenroth „immer mehr“ zu den Deutschen Christen neigt – d.h. er beobachtet eine wachsende Annäherung. Und auch bei Eberhard festigt sich das Bild der Kirche. Jetzt geht es nicht mehr um jung und alt, um fleißig und faul, um lebendig und ruhig, jetzt geht es um die richtige Form der Kirche, um die Glaubwürdigkeit der Christen, ja, um die Nachfolge Christi. Die Kirchenpolitik des NS-Staates drängt die Pfarrer zur Entscheidung auch in der kleinen Stadt Altenkirchen. Vielleicht ist Heckenroth jetzt erst der NSDAP beigetreten. Eberhard von Mering hatte schon als Student in Rodenkirchen einen Beitritt zur Partei abgelehnt. Er fand ihn für einen Pfarrer absolut unzuträglich. Trotzdem hielt er sich durchaus für einen Nationalsozialisten!
Am 15. und 16. Oktober haben Vater und Sohn von Mering Geburtstag. Der Vater Carl in Rodenkirchen wird 60 Jahre alt, der Sohn 25. Der Bildhauer Carl von Mering ist im Jahre 1931 der NSDAP beigetreten, verzweifelt wegen seiner Arbeitslosigkeit und dem Verlust der Ersparnisse durch die Weltwirtschaftskrise. Die Kölner Zeitung wird ihn zu seinem Geburtstag als Alten Parteigenossen ehren. Eberhard hat beschlossen, nur schriftlich zu gratulieren. Ich zitiere aus seinem Brief an den Vater:
„Altenkirchen, den 12. Oktober 1934
Mein lieber Vater! Diesmal kann ich also leider nicht an Deinem Geburtstage zu Hause sein und gerade, wo es der sechzigste ist. Ich habe lange überlegt, ob ich nicht doch kommen sollte, mein Chef hat mir auch die Erlaubnis erteilt, nach Hause zu fahren, aber ich kann wegen meiner Jungens nicht. Wir haben nächsten Sonntag unseren Familienabend und ich weiß schon, daß er sehr gut besucht wird. Da muß ich den Eltern und Freunden auch etwas Ordentliches vorsetzen. Ich bin sowieso etwas in Sorge, ob sich mein Programm so schön abwickelt, wie ich es mir denke. Wir werden nächste Woche noch ordentlich üben müssen. So muß ich Dir denn meine Glückwünsche aus der Ferne schicken, aber sie sind deswegen nicht minder herzlich und ernst gemeint. Einen recht schönen Tag wünsche ich Dir am 15.; hoffentlich habt Ihr nicht zu viel Unruhe. Und für die kommenden Lebensjahre wünsche ich Dir vor allem Gesundheit und die rechte Lebensfreude. Ich rechne ja doch immer sehr fest damit, daß ich Euch bald in meine eigene Pfarre aufnehmen kann. Das ist mein größter Wunsch, damit Ihr dann auch von aller Sorge des Alltags ausruhen könnt…. Ich habe jetzt gerade das Buch von Rosenberg gelesen und bin wirklich etwas entsetzt über das Niveau dieses Buches, das heute in ganz Deutschland als "das" Buch gelesen wird. Dem ganzen Werk liegt der Gedanke zugrunde, daß der Mensch, sofern er ein Arier ist, sich selbst zum Gott machen kann und daß unser ganzes Christentum, daß vor allem dieser Jesus von Nazareth Hirngespinste einer dekadenten Menschheit sind. Ja, wenn ich nur etwas von diesem Buch für wahr hinnehme, dann muß ich sofort mein Amt niederlegen, denn dann bin ich der größte Lügner und Betrüger. Aber ich weiß, dass das Evangelium eine Kraft Gottes ist, selig zu machen alle, die daran glauben. Mein Leben käme mir jedenfalls äußerst sinnlos vor, wenn ich nicht in der Hoffnung auf das Himmelreich lebte; und ich könnte keine Lebensfreude aufbringen, wenn ich nicht wüsste, der Heiland ist mir nahe und hilft mir über alle Schwierigkeiten hinweg. Ich glaube, sonst wäre ich schon längst verzweifelt. Aber so kann ich froh und zu allen Menschen freundlich und entgegenkommend sein, weil mir zuerst einer entgegengekommen ist.“
Der Geburtstagsbrief weitet sich zu einer Predigt. Nur das erste Blatt ist überliefert. Ich frage mich, ob Eberhard diese Auseinandersetzung mit seinem Vater lieber schriftlich als mündlich führen wollte, ob er fürchtete, in seiner augenblicklichen Verfassung den Geburtstag seines Vaters zu stören.
Am 17. Oktober Abends wird in Michelbach Eberhards Geburtstag nachgefeiert. Aber es geht eigentlich nicht darum. „Herr Müller wusste wieder vielerlei Neuigkeiten aus der Kirche, so unter anderem von dem Misserfolg der Bekenntnisversammlung in Düsseldorf, die ja von der Staatspolizei verboten worden ist. Bis zum Abendessen unterhielten wir Männer uns über die kirchliche Lage….“
Die wird schwieriger. Die staatliche Jugendarbeit stellt sich der kirchlichen wachsend entgegen. Am 20. Oktober klagt Eberhard:
„… Mein Familienabend kann leider nicht stattfinden, da ein großer Teil der Jungen nach der Freusburg mussten von der H.J. aus. Gestern bekam ich erst diese Nachricht, nachdem alles für den Sonntag fertig vorbereitet war. Ich bin zu ärgerlich. Nun muss alles wieder umgeworfen werden.“
Auch seinen eigenen Eltern gegenüber muss Eberhard diesen Ärger ausgesprochen haben. Denn am 22. Oktober schreibt Carl von Mering an die Verlobte seines Sohnes in Marburg:
„Daß ich heute erst mich bedanke (für Glückwünsche und Kuchen), liegt keineswegs daran, daß mir irgend etwas von all dem Guten, daß ich bekommen, etwa nicht bekommen wäre, nein, ich bin quicklebendig, aber ich habe jetzt z. Zt. der Wiedereröffnung des Winterhilfswerkes so sehr viel zu tun… Die Zeit bis zum Schlußexamen unseres Hatti (Kindername Eberhards) rückt ja nun allmählich heran. Du darfst Dir jetzt wohl schon einen Kalender anlegen, wie das die Soldaten tun, wenn sie im letzten Jahr dienen, und jeden Tag einen Strich machen. Wenn nur der Junge uns keinen Strich dadurch macht. Er schimpft mir zu viel auf unsere Regierung, das gefällt mir nicht und es ist auch durchaus falsch. Ich bedaure es, daß er in eine m. E. muffige Gegend gekommen ist und den realen Boden unter den Füßen verliert. Erst kommt der Staat und dann die Kirche! Er aber meint es umgekehrt. Wir müssen aber erst den Staat fest begründen, eher gibt es auch für die Kirche keine Stetigkeit. In einem Staat wie Russland oder Spanien kann die Kirche sich nicht ruhig entwickeln. Der Staat schafft erst die Möglichkeiten und ist bei uns wenigstens kein Kirchenfeind. Wenn unsere Jugend nicht in den letztvergangenen Jahren dem Vaterlande so sehr entfremdet worden wäre, möchte sich manches was vom Staat als notwendig erkannt und durchgeführt wird, erübrigen, aber so ist unsere Regierung im Recht und darf sich von niemand dazwischen funken lassen. Wenn die Quertreiber dann beseitigt werden müssen, so darf niemand klagen. Ich fürchte, daß im Falle die Raben des Elias nicht mehr funktionieren.
Wir haben uns zuerst und vor allem als Deutsche zu fühlen. Hinterher gehören wir durch die Zufälligkeiten einer Taufe zu einer von 16 größeren Religionsgemeinschaften.
Also, liebe Ruth, setze Deinem Vikar einmal den Kopf zurecht, ehe er sich unliebsam auffällig macht. Wir alle grüßen Dich herzlich und danken Dir für alle Deine Liebe.
Dein Vater Mering“
Was meine Mutter Ruth ihrem Schwiegervater darauf geantwortet hat, weiß ich leider nicht.
Aber was sie drei Tage nach Erhalt dieser Ermahnung an Eberhard schrieb, ist zum Glück aufgehoben worden. Es heißt in ihrem Brief vom 26. Oktober:
„… und gestern stieg der Familienabend - ..ich find’s so lieb von Dir, wenn Dir mein Dein-Denken Sicherheit gibt – So denk ich, wird’s auch gestern gewesen sein – Feste aufziehen kann doch keiner so gut wie mein Liebster und ein bissel Lampenfieber garantiert guten Erfolg: es ist solche gute Auflockerung! … Liebster, wie reich ist man doch, wenn man so viel Menschen hat, die in Treuen zu einem stehn! Und ich kann gar nicht anders, als mich mit Dir zu freuen – ich weiß ja, daß mein Liebster viel, viel Liebe braucht, um sich entfalten zu können! Und meine Liebe muß er ja die meiste Zeit entbehren, denn mein Denken und Schreiben ist halt doch nur zu spärlich fühlbar, gelle? …. Rousseau sagt einmal: „Welch ein Beweis gegen den Unglauben ist das Leben eines wahren Christen!“ Daß wir beide als Christen einmal leben können, ist auch mein innigster Wunsch: frei von Menschenfurcht und mutig, fröhlich und hilfsbereit, in der Welt und doch nicht von der Welt.“ Sie lässt sich offenbar nicht einschüchtern.
Doch die Lage der verfassten Kirche in Deutschland wird immer verworrener. Eberhard schreibt am 27. Oktober an Ruth:
(Ich erhielt einen)…Brief von Hans Niemann mit einem langen Aufsatz über die Bekenntnisversammlung in Düsseldorf, den er selbst geschrieben hatte. Ich habe ihn in der Gemeinschaft vorgelesen. Jetzt ist ja wieder allerlei in der Kirchenpolitik vor sich gegangen. Jäger, Künder und Langemann sind zurückgetreten, bzw. worden; die Bekenntnisfront hat jegliche Zusammenarbeit mit den D.C. u. der Reichskirche verboten; auf der anderen Seite haben sich die Länderbischöfe hinter den Reichsbischof gestellt. Es scheint langsam der Entscheidung entgegenzugehen. Man möchte nur zu gern, dass Gott bald eine Klärung der Dinge herbeiführt und wieder Ruhe in unsere Kirche kommt. Hans schrieb in Anbetracht des Kampfes: Es ist eine Lust zu leben. Ja, das ist schon wahr, das Evangelium wird einem immer lieber, je mehr man darum zu kämpfen hat – aber unsere Gemeinden leiden doch sehr darunter, weil die meisten doch nicht wissen, worum es eigentlich geht. – Mein Familienabend war sehr mit Erfolg gekrönt. Ich hatte den Saal ganz besetzt und unsere Vorführungen klappten außer den Gesängen sehr schön. 13,88 M habe ich eingenommen. Dafür sollen jetzt Liederbücher gekauft werden … Wenn es mit rechten Dingen zuginge, käme ich am 1. Nov. hier fort. Das wäre mir doch eine harte Nuss und ich bin dankbar, dass ich noch bleiben darf …“
Und am 30. Oktober schreibt er: „Ich weiß nicht, ob ich Dir schrieb, dass mein Chef mit meiner Predigt nicht einverstanden war und dass nach seiner Meinung alles falsch war, was ich da behauptete. Na, jedenfalls war ich am Freitag und Samstag sehr unglücklich und wusste gar nicht, ob ich mit solch einer Predigt überhaupt auf die Kanzel steigen könnte. Ich suchte in meiner Not erst mal Otto auf und legte ihm kurz die Gedanken meiner Predigt aus. Er hielt sie für durchaus richtig und gut; aber das war mir noch kein Trost; mein Chef wirft mir ja gerade vor, dass meine Theologie zu sehr von der Gemeinschaftstheologie beeinflusst sei. Nun tut er das jetzt auch deshalb, weil ihm die Stellung der G. zur Bekenntnisfront ein Gräuel ist und weil Pfr. Maas, der bisher ein Feind der G. war, nun auf einmal sehr zu ihr hält, ja, auch ihre Stunden aufsucht. Richtigen Trost bekam ich erst, als wir zusammen gebetet hatten; diese treue Fürbitte Otto’s gab mir die größte Gewissheit, dass es schließlich doch Gottes Wort ist, was ich bringen wollte. Ich ging also etwas erleichtert wieder heim. – Am Sonntag war die Kirche besetzt wie lange nicht mehr, und meine Verzagtheit wuchs noch bei der Liturgie. Ich hatte ordentlich einen Druck auf dem Magen und wär am liebsten auf und davon gelaufen. Aber das ging ja nun nicht. Ich musste auf die Kanzel. Und merkwürdig, beim Gebet auf der Kanzel kam mir auf einmal wieder die Zuversicht und meine Predigt ging ganz glatt herunter. Vielleicht war es auch die volle Kirche, die mich etwas stärkte. Jedenfalls war alle Angst bei der Verkündigung verschwunden.“
Die Predigt, von der Eberhard hier spricht, könnte die über Hebr. 10, Vers 39 gewesen sein. Sie ist in meines Vaters Handschrift überliefert und auf einem Papier geschrieben, auf dessen Kopf „Superintendent der Synode Altenkirchen, Freusberg“ steht. Im Bibeltext heißt es: „Wir aber sind nicht von denen, die da weichen u. verdammt werden, sondern von denen, die glauben und die Seele erretten.“ Sie enthält folgende Passagen: „Darf aber ein Christ noch schweigen, wenn er sieht, wie mit skrupelloser Hand seine Bibel angetastet wird, dies Buch, in dem Christus zu uns redet, wenn er sieht, wie man diesen Christus zu einem nordischen Menschen herabwürdigt, der gekommen sei, eine heldische Religion der Selbstvergottung zu lehren, wie man das A. T. als ein Judenbuch, aus dem man nur Schlechtigkeiten lernen kann, ablehnt, wie man Paulus als Lehrer einer Minderwertigkeitsmoral verurteilt! Darf ein evgl. Christ dazu schweigen, wenn ihm sein Bekenntnis, das Erbe und der Glaube seiner Väter angetastet werden, wenn man versucht, durch Übergehen des evgl. Bekenntnisses eine Nationalkirche zu schaffen, in der sich alle Konfessionen und Sekten vereinigen sollen! Darf er dazu schweigen, wenn Bücher geschrieben und verbreitet werden, die offensichtlich alles, was Glauben und Christentum angeht, in den Schmutz ziehen und lächerlich zu machen suchen! Nein und abermals nein!! Das hieße, unser Gewissen totschlagen, das hieße Verräter unseres Herrn werden. Heute ist jeder einzelne von uns gefragt: Gehörst du zu denen, die da weichen und verdammt werden oder zu denen, die den Kampf gegen das Neuheidentum, gegen alles Unrecht, was den gläubigen Christen angetan wird, aufnehmen und gerettet werden!“ Es ist einleuchtend, dass Pfarrer Heckenroth nicht wollte, dass sein Vikar so predigte.
Mein Vater schreibt weiter an meine Mutter:
„Ich hatte Pfarrer Winterberg gebeten, mir zu schreiben, was er von der augenblicklichen Lage der Kirche halte. Er schreibt u.a.: In dem gegenwärtigen Kampf wirkt sich die alte Verwechslung von Kirche Jesu und der Gesamtheit der in den verfassten Kirchen vereinigten Menschen aus. Gott ist nicht an die Menschen gebunden. Die durch Verfassung dargestellte Kirche ist nicht gleichbedeutend mit Kirche Jesu Christi. Auf beiden gegenwärtig vorhandenen Fronten ist durch fleischl. Eifer das gegenseitige Vertrauen stark geschädigt worden. Das ist ein Unrecht auf beiden Seiten, das ich durch den Beitritt zu einer der beiden Fronten nicht mitmachen kann. Unsere Aufgabe in den gegenwärtigen Kämpfen besteht darin, dass wir unsere Gemeinde mit ganzem Ernst in das volle Evangelium einführen und sie ermahnen, an der Schrift Alten und Neuen Testaments festzuhalten und in ihrem Wandel dem Evangelium Ehre zu machen. – Das klingt sehr einleuchtend und doch meine ich, heute sei diese Haltung nicht mehr möglich. Ich gehöre ja auch zu keiner der beiden Parteien, tue es aber den Eltern zuliebe. Ich meine, Gott kann nur durch Menschen sein Reich bauen und er tut es heute durch die Bekenner, auch wenn dort menschlicher Eifer zu finden ist. Es kommt aber doch darauf an, worum die beiden Fronten kämpfen! Für heute Schluss!“
Und am 31. Oktober eine Karte an Ruth: „Ganz schnell die erfreuliche Mitteilung, dass ich am Freitag, den 9. Nov. nach Marburg kommen kann. Oben am Rand: Nun ist es doch nicht ganz sicher, vielleicht muss ich nach Hilgenroth…“
Jetzt ist es schon sehr deutlich, dass Eberhard von Mering nicht vorhat, zwischen den kirchlichen Fronten zu bleiben. Man darf aber seine Haltung nicht als eine grundsätzlich staatskritische Haltung verstehen. Er kämpft nur um eine strikte Trennung von Staat und Kirche. Er verbittet sich die Einmischung des Staates in kirchliche Belange. Er ist kein politischer Widerstandskämpfer. Das beklagen heute viele, aber Eberhard durchschaut keineswegs die Ziele Hitlers und er hat keinerlei politische Erfahrung.
3. 11. 34: Eberhard an Ruth:… Abends blieb ich noch bis 12 Uhr auf, um die Freunde von der Bahn abzuholen, die in Düsseldorf zur Vertrauensmänner-Tagung des Rhein(ischen) Gemeinschaftsbundes waren. Ich durfte ja nicht mit. Es muss ganz großartig dort gewesen sein; alle waren sehr begeistert. Otto brachte ich noch bis M(ichelbach). Gestern, Freitag, hatte ich mal wieder Unterricht seit langer Zeit; abends Vorbereitung des K(inder)G(ottesdienstes) von 6 - 7. Zum Abendessen war ich bei Prof. Zillich eingeladen….. Zillichs erkundigen sich immer so lieb nach meinem Verhältnis zu H. – Morgen Nachmittag will ich mit Otto nach Wahleroth einen Pfarrer besuchen, der zur Bekenntnisfront gehört. Ich weiß seinen Namen noch nicht. Otto hat ihn mal zufällig irgendwo kennen gelernt u. da hat er ihn u. mich eingeladen10. Überall ist man verwundert, dass es in Altenkirchen so still ist u. nichts für die Bekenntnisfront getan wird. Man schämt sich richtig, so teilnahmslos dastehen zu müssen. Am liebsten möchte ich selbst anfangen.“
Vom 9. -12. November treffen sich die Verlobten Eberhard und Ruth in Marburg. Damals müssen beide sehr offen und ernsthaft über ihre persönliche Haltung im Glauben und in der Politik gesprochen haben. Ruth weiß auch ohne den Brief ihres Schwiegervaters, dass Eberhard vielleicht auf eine Pfarrstelle verzichtet, wenn er der Bekennenden Kirche beitritt. Und dass damit ihre Heirat in unbestimmte Ferne rückt. Aber sie spricht Eberhard Mut zu, seinen Weg zu gehen. Sie verspricht ihm, an seiner Seite zu bleiben. Und wahrscheinlich entscheidet sie an oder nach diesen Tagen, sich nicht für den staatlichen Schuldienst an Mittelschulen zu bewerben, zu dem sie seit dem 12. Mai 1934 befähigt ist. Sie fürchtet, dann zum Eintritt in die NSDAP gezwungen zu sein. Deshalb nimmt sie im kommenden Februar eine Hauslehrerstelle in einem Pfarrhaus der Bekennenden Kirche an.
Nach diesem kurzen Urlaub in Marburg schreibt Eberhard an Ruth am 13. November: „Nun sitze ich wieder in meinem Zimmerchen fern von Dir und Dir in Gedanken so nah… Wie stolz, wie glücklich bin ich, Dich mein eigen nennen zu dürfen, wie dankbar bin ich, dass wir uns in dem einen, worum heute unsere Kirche kämpft, verstehen. Die Tage unseres Zusammenseins, die Predigt Gellers11 haben mich mutig und froh gemacht. Zwar ist die Lage sehr ernst und sie wird auch noch ernster. “Wir aber sind nicht von denen, die da weichen und verdammt werden, sondern von denen, die glauben und die Seele erretten“ (Hebr. 10,39) – Unsere Konferenz12 war sehr dürftig besucht. Die Hälfte unserer Pfarrer hat sich nun geweigert, von H. noch Befehle entgegenzunehmen, sie waren daher nicht alle der Einladung gefolgt. In unserer Gemeinde gärt es, wer weiß wie. Herr Nasse hatte gestern Abend in Michelbach eine Versammlung zwecks Aufklärung über die Lage13 einberufen. Sie war sehr gut besucht, wie ein Bienenschwarm gingen nachher die Stimmen durcheinander. Ich war nicht dabei, sondern blieb bei Frau Schneider zurück; Otto hielt es für besser, wenn ich nicht so offen gg Pfr. H. aufträte. Wir gingen erst alle noch auf die Kniee: Otto, Herr Nasse, zwei Altenkirchener u. ich. Plötzlich hieß es, die Versammlung sei durch H. verboten worden. Er hatte telephonisch angerufen. Die Herren gingen aber doch hin. Wir warteten gespannt, ob sie wieder zurückkämen, aber nichts erfolgte. Das Verbot blieb unbeachtet. Um 11 Uhr kam Otto heim; wir saßen wie auf glühenden Kohlen. Die Sache war ruhig aufgenommen worden; man erwartete ja schon längst ein Wort zur Lage. Heute ist H. zum Konsistorium. Ich bin gespannt, was er berichtet. Morgen muss ich nach Bonn zum Seminar. Da gibt’s auch viel zu hören. Herr Müller sieht sehr schwarz in die Zukunft. Die Lage wird immer schwieriger. Der Reibi14 sitzt wieder fester denn je. Was mag Gott noch mit uns vorhaben! „Wir müssen durch viel Trübsal in das Reich Gottes eingehen“, das wird mir von Tag zu Tag klarer…..Meine Predigt wächst langsam. Man müsste mehr beten, wie Geller es gewiss tut. Ich schreib ihm noch…“
Und am 17. November heißt es: .. Vikar Dr. Rose15, den Du gewiss auch kennst, jedenfalls kannte er dich sehr gut. Wir gingen zs. nach Michelbach. Mein Chef hielt dort eine „Aufklärungsversammlung“. Wir gingen solange zu Schneiders, bis die Sache zu Ende war. Otto kam ganz aufgeregt zurück; er hatte heftig gg. H. gesprochen und war von ihm in sehr hässlicher Weise beschimpft worden. Aber H. hat natürlich die ganzen Bauern wieder auf seiner Seite, weil sie keine Gegenbeweise bringen konnten. Otto leidet sehr darunter; Herr Rose hat ihn wieder etwas gestärkt; er ist jetzt Vikar in Mühlheim a/Rh. Bei einem Bekenntnispfarrer. Gestern abend kam er auch wieder zu mir. Er will mich auch gewinnen und ich wäre ihm u. dem Raten der andern Vikare auch gefolgt, wenn mir nicht Herr Nasse, Herr Müller u. Otto abgeraten hätten. Sie meinen, ich sollte noch bleiben, solange ich kann, um hier die Gemeinde noch etwas zu stützen, aber dann nachher nicht zum Reichskirchenseminar, sondern zum Bekenntnisseminar16 gehen. – an Pfarrer Geller habe ich auch geschrieben u. ihn um Rat gefragt. Ich habe ihm auch deine Adresse angegeben, wenn er Dich u. U. meinetwegen erst mal sprechen will. – die augenblickliche Lage lässt einen nicht zur Ruhe kommen. Man will immer etwas Neues hören und kann sich kaum noch richtig um Gottes Wort sammeln. „Licht und Leben“17 hatte diesmal wieder verschiedene leere Spalten, wo ihm Aufsätze verboten worden waren. Aber ich glaube doch, dass die Sache der Bekenntnissynode zum Sieg kommt. Herr Rose ist jedenfalls der festen Zuversicht.“
Am 19. November heißt es: „Sonntag… ein großer Tag war es, ohne dass ich es vorher gedacht hätte; wie war ich doch wieder verzagt …Dein lieber tapferer Brief, der am Sonnabend kam, gab mir wieder Mut und Kraft; … ich schämte mich, dass ich Dir nicht soviel Mut und Glauben zugetraut hatte… Als das erste Lied gesungen wurde, war ich etwas erschrocken, denn es hörte sich an, als sei die Kirche kaum besucht; aber wie ich nachher hörte, lag es nur an der unbekannten Melodie. Und als ich zur Liturgie aus der Sakristei herauskam, war die Kirche besetzt wie lange nicht mehr; es war ein erhebender Anblick, und dabei war es doch ein ganz gewöhnlicher Trinitatissonntag, dem jetzt Buß- und Bettag und Totenfest folgen, wo doch die Leute gewöhnlich in die Kirche kommen. … Nach dem Kanzelgebet ließ ich die Gemeinde stehend das Lied „Erhalt uns Herr bei deinem Wort“ singen; das klang wunderbar fest und doch so flehend. Bei der Schlussliturgie sprach ich das Gebet frei und ich war so erfüllt von der Größe des Augenblicks, dass mir die Worte nur so zu flossen. – Ich habe noch vergessen mitzuteilen, dass sogar Stühle aufgestellt worden waren, weil die Kirche sonst ganz besetzt war; in den Gängen saßen sie noch und dabei fasst die Kirche 800 Personen, soviel ich weiß. … Nun hatte ich bestimmt erwartet, mein Chef hätte mir irgendetwas wegen meiner Predigt gesagt, aber es ist nichts erfolgt…. Ich vermute jetzt, er will absichtlich nichts sagen, um mich nicht zu zwingen, aus der Reichskirche auszutreten. Es kommt da nämlich auf jeden Vikar noch an, sonst haben sie nachher gar keine mehr. Ich bin jetzt ganz ruhig und entschlossen; was die 110 rheinischen Vikare gekonnt haben, werde ich auch können. Man soll sich nur nicht so schnell bange machen lassen! Ein Hilfsprediger Müller schrieb an Herrn Sekretär Müller, wenn er aus dem Dienst entlassen werde, dann würde er sich durch seiner Hände Arbeit schon weiterbringen; das werde ich auch können. Otto meinte allerdings, das brauchte ich nicht zu tun, dafür werde er schon sorgen, aber soweit dürfte die Freundschaft ja doch nicht gehen, dass ich mich von ihm versorgen ließe. Ungemütlich ist mir die ganze Unsicherheit der Lage; die Reichskirche sieht jetzt ein, dass sie nicht mehr untätig bleiben darf und scheint nun mit aufklärerischen Versammlungen vorgehen zu wollen; jedenfalls will H. die Presbyterien und Gemeindevertretungen der ganzen Synode einmal einberufen und dann mal einen D.C.Mann sprechen lassen. Nun weiß ich schon verschiedene Gemeinden, die da nicht erscheinen werden, aber ich fürchte, dass dabei auch andere wieder umfallen, die bisher der Bekenntnisfront zugesteuert haben. …“
Am 24. November kann Eberhard die Wirkung des Kirchenkampfes in Altenkirchen beschreiben: „Donnerstag abend hatte ich hier in A. Bibelstunde. Pfr. H. wollte sie ausfallen lassen, weil er meinte, nach Buß- und Bettag käme doch kein Mensch; was war ich aber erstaunt, als ich hinkam. Der Saal war überfüllt; man hatte noch Bänke aufgestellt und trotzdem mussten einige Leute stehen; über 100 Personen waren anwesend. Ich war ganz erschrocken. Viele mögen gekommen sein, um „etwas Neues zu hören“ wie die Griechen in Athen, aber ich brachte keine Neuigkeiten aus der Kirchenpolitik, konnte allerdings nicht daran vorbei, meinen Standpunkt klarzulegen. Mein Chef war etwas verstimmt über den großen Zulauf, den ich jetzt habe u. als ich ihn fragte, ob ich nicht auf dem Lande Stunde halten sollte, schlug er es direkt aus. Er wird jetzt eifersüchtig, meint vielleicht auch, ich würde die Leute zu sehr beeinflussen; nun, wenn ich’s so nicht kann, mache ich’s auf andere Weise. Heute habe ich in Ingelbach 4 Hausbesuche geschafft und auch „geworben“! Die Leute stehen alle zu mir, von H. wollen sie alle nichts mehr wissen. Wenn jetzt ein Bekenntnispfarrer hier wäre, die ganze Gemeinde stände geschlossen – außer dem Presbyterium – hinter ihm. Schade, schade! Ja, wenn man könnte wie man wollte; A. ist so eine dankbare Gemeinde. Aber H. ist seit der letzten Predigt eingeschnappt, er spricht kaum noch mit mir, lässt mich einfach links liegen. Es ist kein schöner Zustand; hätte ich A. nicht so lieb, dann ginge ich. Aber ich fühle mich der Gemeinde gegenüber verpflichtet….“
Aber am 26. November ist es dann ganz plötzlich so weit:
„Mein liebstes Rütherchen! Vielleicht muss ich heute besondere Stärke bei Dir voraussetzen, wenn ich mit der großen Neuigkeit komme. Heute habe ich den entscheidenden Schritt getan und bin der Bekenntniskirche beigetreten; allerdings nicht ohne mich vorher nach einer neuen Stelle umzusehen. Ich betrachte es als eine besondere Gottesfügung, dass alles so gekommen ist wie ich es mir schon immer gewünscht habe; ich werde nach Hilgenroth zu Pfarrer Korst kommen. Am Sonnabend musste ich zu ihm, um ihn für unsere Bekenntnisversammlung zu gewinnen; da fragte ich ihn, ob er mich nicht als Vikar gebrauchen könnte. Ich sah, dass es ihm gesundheitlich wieder sehr schlecht ging. Mit großer Freude vernahm er, dass ich bereit sei zu ihm zu kommen. Er wollte sich sofort nach Barmen wenden, wo Vikare der Bekenntnisfront verteilt werden, um mir dann so bald wie möglich Bescheid zukommen zu lassen. Und heute wurde ich zu Pfarrer Maas ans Telefon gerufen, wo mir Pfarrer Korst schon mitteilte, ich sollte ans Konsistorium mein Austrittsgesuch und bei der Bekenntniskirche mein Eintrittsgesuch einreichen. Es könnte dann sein, dass ich diese Woche schon nach Hilgenroth übersiedeln kann. Heute habe ich schon in meiner Bibelschar Abschied gefeiert: H. spricht kaum noch mit mir, nur gerade das Allernotwendigste; ich weiß nicht, was er denkt. Die Bekenntnisversammlung sucht er auf alle Weise zu unterbinden; obwohl Herr Müller die polizeiliche Genehmigung hat, lässt H. das Gerücht umgehen, die Versammlung sei verboten. Überall werde ich angehalten und gefragt. Die meisten Leute in A. sind ja für die Bekenntniskirche und H. macht sich mit seiner Haltung immer unmöglicher. Kein Mensch will mehr etwas von ihm wissen. Ich kann hier nicht mehr bleiben. Und meine Freunde freuen sich alle, dass es mit Hilgenroth gerät. Pfr. Korst sagte mir noch, dass mich seine Gemeinde so gern gehabt hätte; und sein Wunsch sei es im stillen auch immer gewesen. Was nun in der Zukunft wird, müssen wir unserm Gott anheim stellen, der uns bisher wunderbar geführt hat. Wir wollen ihm vertrauen, Liebes; ich weiß, dass Du mich verstehst und mir auch jede Freiheit lässt. Ich glaube gewiss, dass das der rechte Weg ist. Mein Chef weiß noch nichts von meinem Entschluss; ich war gestern den ganzen Tag fort und habe ihn nicht gesprochen und er war heute den ganzen Tag in Düsseldorf beim Konsistorium; so werde ich ihn erst morgen sehen und ihm die Neuigkeit mitteilen. Morgen Mittag um 1 Uhr habe ich noch eine Beerdigung in Oberingelbach. Dann geht’s bald fort; ich hoffe ja, dass ich diese Woche noch abreisen kann; denn es ist natürlich nicht mehr schön, hier noch das Gnadenbrot zu essen. Vielleicht gehe ich noch einige Tage zu Schneiders; ich bin ja froh, dass ich nicht so ganz weit fortkomme. So kann ich doch wenigstens Sonntags mit dem Rad nach Michelbach fahren. … Hoffentlich gerät unsere Versammlung am Mittwoch; Herr Müller ist in großer Sorge, ob alles ruhig verläuft. Einige brauchbare junge Männer sollen als Saalschutz dienen. Pastor Zunn von Godesberg spricht; wir kennen ihn ja von Otto Wolfgangs Konfirmation her. – Was magst Du zu meinem Schritt sagen? …
… Gestern abend fiel meine Bibelgruppe wegen einer H.J. und S.A. Veranstaltung aus. So konnte ich zu Müllers gehen ….“
Die Entscheidung ist gefallen. Zwischen Pfarrer Heckenroth und seinem Vikar herrscht Schweigen.
Der November hat 30 Tage. Am Dienstag, dem 27., hofft von Mering Heckenroth zu treffen, um ihm seinen Entschluss und seinen Abschied mitzuteilen. Am Mittwoch, dem 28. November, soll die Bekenntnisversammlung mit Pfarrer Zunn aus Godesberg stattfinden. Ein Profil Pfarrer Zunns konnte ich nicht herausfinden. Jedenfalls ist er bestimmt ein Prediger der Gemeinschaften und sicher gefällt eine solch große Veranstaltung der „Bekenner“ dem Synodalassessor Heckenroth nicht. Dabei geht es gar nicht nur um seine persönliche Einstellung. Das Konsistorium und seine Partei legen ihm als Schwäche aus, dass die Gemeinde so selbständig und protestierend handelt.
Am 29.November schreibt Eberhard von Mering aus Hilgenroth:
„An das Ev. Konsistorium in Düsseldorf
Hierdurch erkläre ich, dass ich mich fortan an die Weisungen des ev. Konistoriums. der Rheinprovinz nicht mehr gebunden weiß und der Freien evangelischen Synode im Rheinland mich zur Verfügung gestellt habe. Eberhard von Mering“
Unter diesem Brief steht in den Akten des Kirchlichen Archivs:
Nr. 14612. Düsseldorf, den 4. Dez. 1934:
1) Die Entlassung des Kand. T. von Mering ist bereits ausgesprochen.
2) Z.d.A. D. Euler ( 2 weitere Gegenzeichnungen)
.
Der nächste Brief meines Vaters an meine Mutter kommt schon nicht mehr aus Altenkirchen, sondern aus dem Pfarrhaus in Hilgenroth. Er trägt das Datum vom 1. Dezember 1934.
„Mein Liebstes! Heute kommt mein kurzer, aber besonders herzlicher Adventsgruß aus meiner neuen Heimat Hilgenroth. Seit Donnerstag bin ich hier. Unsere Bekenntnisversammlung am Mittwochabend hat mein ehemaliger (!) Chef hintertrieben; sie wurde 1 ½ Std. vor Eröffnung verboten. Er hatte alles getan, um dies Ziel zu erreichen. Die Gemeinde ist furchtbar aufgebracht und empört gg. ihn. Keiner will mehr in seinen Gottesdienst kommen; die ganze Sache soll gerichtlich verfolgt werden. Wir waren zuerst ganz verwirrt, als das Verbot herauskam. Ich hatte nachmittags eine Silberhochzeit mitgefeiert und kam dann zu Müllers, um mit Pfr. Zunn in die Versammlung zu gehen. Otto öffnete mir und sagte gleich: Verboten! Ich wusste nicht, wie mir geschah. Wir gingen aber doch hin. Ungeheure Volksmengen waren versammelt. Man schimpfte laut über H. Ich wurde gleich von Freunden umringt und ausgefragt. In Begleitung von einem F. A. Listen ging ich ins Pfarrhaus und holte meine nötigsten Sachen für die Nacht heraus; ich wollte nicht mehr mit H. zusammentreffen. Als ich hereinkam, spielte oben laut das Radio; wahrscheinlich wollte er sein Gewissen übertönen! Wir knallten laut die Türen zu. Bis 12 Uhr saßen wir noch mit Pfr. Zunn bei Müllers zusammen. Dann ging ich mit Otto heim. Am Do. morgen brachte ich meine Sachen zu Müllers u. fuhr nach dem Essen mit dem Rad nach hier. Otto bringt mir heute die Sachen mit dem Fuhrwerk. – Hier wurde ich mit großer Freude u. Herzlichkeit aufgenommen. Pfr. Korst ist furchtbar elend; er hatte drei Tage fast nichts gegessen und kann es vor Schmerzen nicht aushalten…. Morgen vertritt ihn Pfr. Brinken, nächsten Sonntag habe ich den Gottesdienst; Pfr. Korst soll sich jetzt schonen; ich will alles tun, was ich kann: Büroarbeit, Hausbesuche, Unterricht etc. Wenn ich ihm nur etwas Erleichterung schaffen kann…..Do. abend war ich in Hamm(Sieg) zur Bekenntnisversammlung. Stoltenhoff sprach sehr fein. Ich habe nachher mit ihm u. vielen Pfarrern u. Freunden (auch Otto) zusammen gesessen bis 1 Uhr; ich konnte in Hamm übernachten. Von Geller kam ein feiner Brief; er kennt Dich u. will mal zu Euch kommen. Was mögen sie zu Hause über meinen Schritt sagen! Ob man mich versteht?“
Und am 3. Dezember: „… gleich 11 Uhr …eben aus meinem lieben Michelbach zurückgekommen…. Otto kam mir gleich entgegen mit deinem lieben Adventspaket… Wie reich und glücklich machte mich Dein mutiger Brief, Dein Gedichtchen, das blaue Lesebändchen „Dennoch“! Ja, wenn wir immer bei diesem „Dennoch“ bleiben, dann stehen wir richtig. Ach, und heute bin ich so verzagt und weiß nicht warum! Ich sehne mich nach irgendetwas, und weiß nicht, was ich eigentlich will. … Deine Stellung zur Bekenntniskirche (B.K.) war mir eine herzliche Freude. … auch den lieben Eltern danke ich von ganzem Herzen für ihr Verständnis. Nun kann ich getrost meinen Weg weitergehen. Vielleicht ist es Dir auch gelungen, die Eltern in Rodenkirchen etwas umzustimmen. Aber sie leben leider zu wenig in der Kirchenpolitik, als dass sie vollständiges Verständnis haben könnten. Ich warte jetzt sehr auf Nachricht von daheim; vielleicht kommt heute Post.“
Tatsächlich hat Eberhard bald Post von zu Hause. Er schreibt am 8. 12. an Ruth: „Vater hat mir nämlich einen recht groben Brief geschrieben; er hat so gar kein Verständnis für meine Stellung. Omi hat ganz nett geschrieben, obwohl auch sie meint, der Bekenner sei kein Nazi! Ich finde diese Behauptung so furchtbar naiv und unüberlegt, und habe ihr gleich einen Brief geschrieben, um sie vom Gegenteil zu überzeugen…“
Auch Pfarrer Heckenroth erhält am 5. Dezember Post aus Rodenkirchen. Mein Großvater Carl von Mering nimmt seinem Parteigenossen gegenüber kein Blatt vor den Mund: „Für Ihr freundliches Schreiben danke ich Ihnen herzlich und verbindlich. Vom Standpunkt des Nationalsozialisten bedaure ich sehr den Schritt meines Sohnes. Die durch die Gründung der Bekenntnisfront in unsere Kirche getragene Spaltung und separatistische Einstellung ist mir geradezu ein Greuel. –
Dass mein Sohn sich dieser Opposition zugewendet hat, wäre vielleicht zu vermeiden gewesen, wenn Sie sein Vertrauen gehabt hätten. Er ist etwas weich und anlehnungsbedürftig, hat aber in Ihrem Hause nicht den Anschluß gefunden wie z.B. im Pfarrhaus zu Betzdorf. –
Sie schreiben, daß er gute Predigtanlagen habe. Ich beurteile aber den Pastor nicht nach seiner gelegentlichen Sonntagspredigt, sondern mehr nach der 6tägigen Wochenarbeit an der Gemeinde, der Seelsorge, dafür fand er, der ebenso fühlte, ein geringeres Verständnis. –
Daß Sie ihm z.B. das Du-Verhältnis mit einem schlichten Bauern als Cardinalfehler ankreiden finde ich unnationalsozialistisch gedacht. Ich kann darin wirklich kein Verbrechen sehen, wohl aber eine richtig verstandene Volksverbundenheit. Heil Hitler!“
Eberhard erfährt erst später von diesem Brief, dem ja ein Brief Heckenroths an die Eltern von Mering vorausgegangen sein muss. Er schreibt dazu an Ruth am 11. Dezember: „Da bin ich Vater sehr dankbar, dass er Heckenroth so gründlich die Meinung gesagt hat; aber man kann mal wieder sehen, wie gemein dieser Kerl ist, dass er alle möglichen Gründe suchte, um mich zu Hause schlecht zu machen. Na, das ist ihm wenigstens nicht gelungen.
Jetzt kam gerade Pfr. Korst zu mir und berichtete mir von einem Telephongespräch, das er gerade mit Pfr. Brinken-Hamm gehabt hat. Die D.C. haben mit dem Staat vereinbart, dass sie noch bis zum 13. Januar, also bis zur Saarabstimmung, Ruhe halten wollen, dann soll der endgültige Kampf mit der B.K. aufgenommen werden. Was dann wird, wissen wir noch nicht, aber mein Chef meint, dass es dann hart auf hart geht, dass wir dann auch vielleicht hier aus Hilgenroth heraus müssten. Aber wir werden fest bleiben und tapfer zusammen halten, es macht mir jetzt direkt Freude, in den Kampf hinein zu gehen, wo ich mit einem Bundesgenossen kämpfen kann. … Vaters Brief an H. lege ich dir mal bei18, vielleicht schickst Du ihn gelegentlich an die Eltern zurück. Ich bin Vater sehr dankbar für seine Ausführungen, wenn auch der erste Teil immer noch zeigt, dass er kein Verständnis für die B.K. hat.
Wie froh bin ich, dass Ihr so mutig seid und beitretet. Das ist mir eine große Stütze.“
Die BK-Mitgliedskarte meiner Mutter mit der Nummer 1238 vom 24. Januar 1935 ist erhalten. .
In der Personalakte meines Vaters Eberhard von Mering im Archiv der Ev. Kirche im Rheinland in Düsseldorf befindet sich ein Schreiben des Synodalassessors Heckenroth vom 5. Februar 1935: „Der Kandidat der Theologie von Mering war bis Ende November bei mir als Lehr- und Synodalvikar. Am 28. November verschwand er plötzlich aus meinem Hause, ohne sich von mir zu verabschieden. Nur meiner Tochter hatte er mitgeteilt, daß er zur Bekenntnissynode übergetreten sei und zu Pfarrer Korst nach Hilgenroth gehe. Vikar von Mering hielt sich trotz Mahnungen und Verboten meinerseits ganz zu der hiesigen Gemeinschaft, die meine Gottesdienste meidet, weil ich verhindert habe, dass die Bekenntnissynode in der Gemeinde Fuß fasste. Wie jetzt bekannt wird, hatte von Mering viel mitgeholfen zu dieser feindlichen Stellung der Gemeinschaft und stützt noch dauernd. Es vergeht keine Woche, wo er nicht in meiner Gemeinde ist, was ja auch beiliegende Karte zeigt; besonders intim verkehrte er bei einem Bauer in Michelbach, mit dem er auf „du“ steht und der in der unerhörtesten Weise gegen mich arbeitet. Das evangelische Konsistorium nun bitte ich – und dieser Bitte schließt sich fast einstimmig das Presbyterium und der große Teil der Gemeinde an – veranlassen zu wollen, daß von Mering von meiner Gemeinde sich fernhält. Heckenroth, Synodal-Assessor
Beigelegt die Postkarte meines Vaters an den neuen Vikar Beck, in der er ihm Bescheid gibt wegen eines Buches, dass der braucht, das aber Zemke mit nach Köln genommen hat und auf der er schließt: „Ich komme Sonntag abend wieder nach A. in die Stunde zu Herrn Müller, da werde ich das Buch mitbringen. Vielleicht haben Sie Zeit und kommen hin. Nach der Stunde sitzen wir immer gemütlich zusammen. Sonntags bin ich immer in Michelbach bei Otto Schneider, von dem Sie sicher auch schon gehört haben. Auch dort sind Sie herzlich willkommen. Mit freundlichem Gruß Ihr E. von Mering“
Kommentar der Behörde: 1) Unter derzeitigen Verhältnissen kann nichts veranlasst werden, da Pfarrer Korst sich zur Bekenntnissynode hält. 2) Z.d.A. D.Eu
Zweimal kommt mein Vater auf die Zeit in Altenkirchen zurück. In seiner Personalakte in Düsseldorf befinden sich unter anderem zwei Lebensläufe. In beiden betont er die große Wichtigkeit dieser Zeit für seine persönliche Entwicklung. Und beide Male hat er einiges schon vergessen – aber nicht den Kern.
Den ersten Lebenslauf schreibt er 1937, als er sich um die Pfarrstelle Heusweiler bewirbt. Da hat er sein 2. Examen beim Bruderrat der Bekennenden Kirche in Barmen schon hinter sich, ist ordiniert und nach einem Jahr Hilfsdienstpflicht „zum geistlichen Amt befähigt“. Er schreibt:
„Im September 1933 machte ich beim Evangelischen Konsistorium zu Koblenz mein 1. Theologisches Staatsexamen und kam zum 1. November 1933 als Lehrvikar zu Herrn Pfr. Winterberg – Betzdorf (Sieg). Fünf Monate durfte ich nur bleiben, aber diese fünf Monate gaben mir sehr viel. Pfarrer Winterberg wurde mir in seiner ernsten und doch so gütigen Art ein lieber Lehrer und Berater; durch ihn lernte ich zum 1. Mal die kirchliche Gemeinschaft kennen und lieben. Leider wurde ich schon nach 5 Monaten mit dem Vikar von Herrn Synodal-Assessor Pfr. Heckenroth in Altenkirchen (Westerwald) ausgetauscht, weil er nicht mit seinem Vorgesetzten auskam. Es war für mich ein schwerer Gang; aber was mir nun im Pfarrhaus an Liebe, Glauben und Belehrung fehlte, das fand ich umso mehr in meiner Altenkirchener Gemeinde. Auch hier war es die Gemeinschaft, - und vor allem ein alter gläubiger Mann der Gemeinde, von dem ich viel Segen hatte. Acht Monate blieb ich in Altenkirchen. In dieser Zeit bewegten mich immer mehr die Fragen des Kirchenkampfes. Ich stand von vorn herein der Bekennenden Kirche nahe, wagte aber nicht den Schritt von der Sicherheit in die Unsicherheit zu vollziehen. Pfr. Heckenroth warnte mich sehr davor – allerdings nur mit äußeren Schreckmitteln. Erst als er einen Bekenntnisgottesdienst, den Pfarrer Zunn/Godesberg auf meine und der Gemeinschaft Veranlassung in Altenkirchen halten sollte, mit Polizeigewalt hintertrieb, vollzog ich den Bruch, weil mir klar wurde, dass dort keine Kirche Jesu Christi sein konnte, wo man mit weltlichen Mitteln und nicht allein mit dem Wort Gottes kämpfte. Ich verließ sofort das Pfarrhaus und wurde durch Vermittlung von Pfr. Schlingensiepen /Barmen als Gemeindevikar nach Hilgenroth (Westerwald) zu Herrn Pfr. Korst geschickt. Vom Konsistorium erhielt ich die Mitteilung, dass ich „mit sofortiger Wirkung aus dem kirchlichen Dienst entlassen“ sei.“
Das polizeiliche Verbot des Bekenntnisgottesdienstes, durch den Pfarrer persönlich erwirkt, erscheint als der Auslöser der Entscheidung, als Hilfe zur Überwindung der materiellen Ängste. Das ist zugespitzt. Eigentlich hatte Eberhard seinen Auszug aus dem Pfarrhaus Altenkirchen schon vorher geplant, wollte seinem Lehrherrn nicht länger gehorchen müssen. Das Verbot der Versammlung ist der Grund, warum von Mering ohne Abschied flieht. Es bleibt in der Erinnerung das Fanal zum Eintritt in die Bekennende Kirche.
In einem zweiten Lebenslauf, den mein Vater 1942 für das Konsistorium verfasste, heißt es:
„… Ich wurde in Altenkirchen immer mehr in die Fragen des Kirchenkampfes hineingestellt und entschied mich im Oktober 1934 für den Weg der BK als den einzig biblisch möglichen. Ich wandte mich an den Bruderrat der BK und wurde zum 1.11. 34 nach Hilgenroth zu Herrn Pfr. Korst versetzt.“
Die genauen Daten hat er schon vergessen – November muss es heißen und am 1.12. kam er nach Hilgenroth – aber die Entscheidung nicht. Eberhard gehört immer noch der Bekennenden Kirche an und weigert sich erneut, den Eid auf den Führer zu leisten. Deswegen kann er, obwohl inzwischen seit 1937 im Amt und mit Ruth verheiratet, nicht Pfarrer seiner Gemeinde Heusweiler/Saar werden, sondern muss Hilfsprediger und Pfarrverweser bleiben. Dass mein Vater in diesem Lebenslauf schreibt: „Im April erwarten wir unser 3. Kindchen“ veranlasst den Bearbeiter des Konsistoriums mit Kopierstift dahinter zu schreiben: „und was noch?“ Und am Rand links steht die Bemerkung: „Gemütsmensch!“ Damit, denke ich, hätte mein Vater, wenn er’s gewusst hätte, sich abfinden können.
Nicht abfinden konnte er sich mit seiner Einberufung zu den Kanonieren im Frühjahr 1940. Er suchte nach Wegen, wie er heim und zu seiner Gemeinde kommen könnte. Das gelang ihm schließlich im Herbst 1940. Aber am 1. September 1943 gab es kein Ausweichen mehr. Er wurde eingezogen und fiel am 21. August 1944 bei Tartu in Estland.
Anmerkungen:
1 Der Lehrvikar bei Heckenroth bekommt 25,- RM Gehalt, der bei Winterberg weniger, dagegen hatte Eberhard offenbar protestiert und das Konsistorium versetzt ihn jetzt an die besser bezahlte Stelle.
2 Das Konsistorium hat den Austausch „genehmigt“. Der Synodalassessor Heckenroth hat ihn offenbar verlangt.
3 Die Evangelische Gesellschaft für Deutschland stammt schon aus dem 19. Jahrhundert. Sie befindet sich innerhalb der Landeskirchen. Ihr Vorsitzender Kuhlmann hatte schon nach der Sportpalastveranstaltung der Deutschen Christen in Berlin am 13. November 1933 entschieden, dass die Gemeinden ihre Selbständigkeit bewahren und nicht mit den D.C. zusammengehen sollten.
4 „Die Stunde bei Herrn Müller“ war als Gebetsstunde die wöchentliche Zusammenkunft der Gemeinschaftschristen.
5 Jungen aus Eberhards Kölner Bibelschar, die Eberhard nach Michelbach einladen durfte. Schon in seinen Studienjahren hatte Eberhard in der Jugendarbeit seiner Kirchengemeinde in Köln-Marienfeld bei Pfarrer Rathschlag mitgearbeitet.
6 Die Familie des Bauern Otto Schneider ist es vor allem, die Eberhard den Aufenthalt in Altenkirchen angenehm macht. Otto Schneider spielt in der Evangelischen Gemeinschaft offenbar eine führende Rolle, er hat ein Netzwerk von Freunden, über die er Informationen bezieht, die für Eberhard wichtig sind. Zugleich bietet sein Haus einen herzlichen und fröhlichen Mittelpunkt. Otto wird Eberhards älterer Freund, im Herbst duzen sie sich.
7 Pfarrer Theodor Maas war der zweite Pfarrer der Gemeinde. Sein Vater war ein Breslauer Jude, der sich hatte taufen lassen. Wegen dieser Herkunft wurde Pfarrer Maas nach 1933 wachsend angefeindet.
8 Am 23. September 1934 war der Pfarrer Ludwig Müller (1883 – 1945) als Reichsbischof eingeführt worden. Er sollte die Deutsche Evangelische Kirche, die Reichskirche, im Sinne der Nationalsozialisten und Deutschen Christen leiten. Landeskirchen wie Württemberg und Bayern lehnten ihn von vorn herein ab, auch von Seiten der anderen Kirchen gab es Widerstand. Und der NSDAP konnte er es auch nicht recht machen!
9 Einen Trostbrief an seine Kusine Edith, deren Verlobter gerade bei einem Motorradunfall gestorben war.
10 Solche Besuche dienen der gegenseitigen Information. Die Bekennende Kirche hat kaum Medien.
11 Pfarrer Dr. Friedrich Samuel Geller(1893 – 1955) in Marburg, ein sehr gebildeter Pfarrer der Bekennenden Kirche, dessen Predigten auch die Familie des Professors Rudolf Bultmann schätzte.
12 Die Synode Altenkirchen, deren Vorsitzender Ludwig Heckenroth ist.
13 Anscheinend sollte da über die Vorgänge in der Kirche aus der Sicht der Bekennenden Kirche informiert werden.
14 Reichsbischof
15 Dr. Eugen Rose (1909 – 2003) hatte seine Dissertation in Marburg geschrieben, sein 1. Theologisches Examen 1934 in Koblenz bestanden. Seine 1. Vikarsstelle in Deutz hatte er wegen seines Eintritts in die BK verlassen müssen, jetzt war er in Köln-Mühlheim bei einem Bekenntnis-Pfarrer, er ging später in das Predigerseminar in Finkenwalde bei Stettin, das Dietrich Bonhoeffer leitete. Er scheint den Auftrag zu haben, die jungen Theologen zum Beitritt zur BK zu ermuntern.
16 Predigerseminare gehören neben der praktischen Arbeit in der Gemeinde zur Vikarsausbildung. Eberhard von Mering nahm nur an monatlichen Seminartagen teil.
17 „Licht und Leben“ war die Zeitschrift der Evangelischen Gesellschaft für Deutschland seit 1905. Im Kirchenkampf stieg ihre Auflage auf 30.000 Exemplare wöchentlich. Am 13. Juli 1938 wurde sie verboten.
18 Es handelt sich um einen Schreibmaschinendurchschlag. Er ist erhalten.