Ein Vorfahr erscheint

Zuerst veröffentlicht in: EKKEHARD, Familien- und regionalgeschichtliche Forschungen, Hallische Familienforscher "EKKEHARD" e. V., Neue Folge 11 (2004), Heft 2

Johannes Bender, geboren 20. 1. 1636 in Leipzig, gestorben 3. 11. 1706 in Eisleben

Günter Grass nennt es "im Krebsgang", wie sich sein Held von der Gegenwart aus in die Vergangenheit vorarbeitet. Ich musste gleich an meine Familienforschung denken. Auch sie geht "nach Art der Krebse, die den Rückwärtsgang seitlich ausscherend vortäuschen". Es ist die natürliche Art der Fortbewegung für die Genealogie. Gerade auch das seitliche Ausscheren ist ihr eigen, da sie die verschiedensten Quellen zu Rate ziehen muss. Innere und äußere Hindernisse gilt es zu überwinden. Geradlinig ist gar nichts. Von den Eltern ausgehend arbeitet sich die Familienforscherin rückwärts vorwärts, dringt in die Tiefen der Generationen ein, oft "schrägläufig", wie Grass das nennt, ich möchte hinzufügen: manchmal auch im Zickzack.

Während ich mich so "im Krebsgang" bewegte, ist eines Tages der Pfarrer Johannes Bender an meinem Forschungshorizont erschienen. Zunächst war er eine undeutliche Gestalt, der Vater einer Tochter, von der ich wusste, dass sie meine Vorfahrin war, weil ihre Tochter Anna Magdalena Dorothea später die Frau des Stadtschreibers Schmidt in der Altstadt Eisleben geworden ist. Über diesen Stadtschreiber Schmidt, einen Vorfahren meiner Großmutter väterlicherseits, habe ich im EKKEHARD Neue Folge 7 (2000) Heft 2 schon geschrieben.

Von Schmidts Lebensdaten rückwärtsgehend fand ich im Kirchenbuch von S. Nicolai in Eisleben den Heiratseintrag seines Schwiegervaters:

"den 4. Aug. 1705 Ist Hr. Rudolphus Stoßnacken Rathsverwandter alhier mit Jgfr. Anna Magdalena Dorothea Benderin, Hr. Johann Benders, Pastoris zu St. Nic. u. Consistorii Mansfeldiaci Assessoris eheleibl. Tochter christl. copuliret worden. Die Brautm. verrichtete Dn General Superintendent M. Ehrenfr. Dürr, die Copulation aber Dn Diac. Ps. Weißmann."

Herr Johannes Bender also begegnet mir, seiner Nachfahrin, erstmals als Brautvater bei einer Eheschließung. Und gleich nehme ich mir vor, ihn von den Spinnweben der drei Jahrhunderte zu befreien, die er vor mir gelebt hat.

Damals, im Jahr 1705, ist mein Vorfahr Pastor an der Kirche S. Nicolai in Eisleben und Assessor am Konsistorium der Grafschaft Mansfeld. Dass es sich bei Braut und Bräutigam um geachtete Personen handelt, beweist die Mitwirkung zweier Geistlicher bei der Heirat: die Brautmesse verrichtet der General Superintendent Magister Ehrenfried Dürr, die eigentliche Trauung der zweite Pfarrer von S. Nicolai namens Weißmann.

Kirchengeschichtlich interessant ist, dass damals die Grafschaft Mansfeld ein eigenes Konsistorium unter einem General Superintendenten hatte. Die Familienforscherin aber will mehr über diesen Brautvater erfahren. Sie ruht nicht, bis sie die Geburt der Braut gefunden hat. Im Kirchenbuch von S. Nicolai stehen zwischen 1684 bis 1695 die Taufen von Pastor Benders sechs Töchtern. Es ist nicht leicht zu entscheiden, welche davon die Braut ist: 1684 wird eine Anna Dorothea, 1688 eine Anna Magdalena getauft. Eine Anna Magdalena Dorothea gibt es gar nicht. Keine der Töchter des Pfarrers hat drei Taufnamen. Das war damals noch das Vorrecht adliger Familien. Ab 1708 bei den Taufen der gemeinsamen Kinder wird die Frau von Rudolph Stoßnack immer Anna Magdalena genannt, so entscheide ich mich für sie und ihr Geburtsjahr 1688. Ich errechne, dass Anna Magdalena bei ihrer Heirat 1705 gerade 17 Jahre alt geworden ist. Ihr Taufeintrag lautet:

"1688 den 24. Junius Herr Pastor Johannes Bender mit seinem Weibe Barbara Dorothea eine Tochter Anna Magdalena. Paten 1. Herr Secretarius Joachim Friedrich Engel, 2. Frau Magdalena Herrn M. Ehrenfried Dürres, Pastoris Andr. Weib, 3. Frau Anna Maria Herrn Johann Mörders Apothekers Weib."

Die Frau von Magister Ehrenfried Dürr, der später die Braut trauen wird, ist also vor 17 Jahren Anna Magdalenas Patin gewesen. Dürr war damals noch nicht General Superintendent, sondern nur Pastor an S. Andreas in Eisleben. Sie sind miteinander jung gewesen, Ehrenfried Dürr und Johannes Bender. Sie sind miteinander alt geworden, aber nur Dürr wurde Superintendent. Der Magistertitel war wohl die Voraussetzung dazu. Ihn hatte Bender nicht erworben.

Vor den sechs Töchtern hat Johannes Bender 1683 einen Sohn taufen lassen. Der wurde Johannes Friedrich genannt. Davor gibt es im Kirchenbuch von S. Nicolai keine Taufen der Familie Bender. In allen Taufeinträgen ist der Vater Pastor an S. Nicolai, meist wird auch sein Amt als Assessor am Konsistorium, dem Kirchengericht, genannt. Und immer heißt seine Frau, die manchmal auch seine Eheliebste genannt wird, Barbara Dorothea. Natürlich wüsste ich jetzt gern, aus welcher Familie sie stammte.

Im gewohnten Krebsgang aber finde ich zunächst einen Eintrag in der Chronik der Nicolai-Gemeinde, die der zweite Pfarrer und Kollege Benders namens Francke geschrieben hat:

"MDCLXXXII (1682): Dominica Jubilate ist allhier in allen Kirchen ein öffentliches Dankfest gehalten worden vor die gnädige Abwendung der im vorigen Jahr recht ungewöhnlich und grausam aus gerechtem Verhängnüß Gottes grassirenden Seuche der Pestilentz an welcher binnen 4 Monat nemlich Junio, Julio Augusto et Septembri zum wenigsten 8 000 Menschen zusamt dem gantzen Ministerio 3en nach berufenen Diaconis und einem Pestilentz Priester verstarben….

Dom. XIX p. Trin. (19. Sonntag nach Trinitatis) ist der Herr Pastor Bender vormahliger Archidiaconus im Thal manßfeld nach abgelegter Vorstellungspredigt von dem Herrn General Superintendenten Herrn Johannes Rößnern der Gemeinde im Nahmen der Hochgräffl Hrn. Herrschafft praesentiret und nach erhaltener Suffragio alsbald investiret worden. Unter dem geläute bey dem dritten Pult fiel die große Glocke herunter mit iedermanns entsetzen und ward selbe woche nicht ohne große gefahr mühe und vorsicht wieder in die höhe gebracht. Gott gebe daß es nicht böses praesagiren möge!"

Recht dramatisch ist also der Anfang von Pastor Benders Tätigkeit an S. Nicolai. Nicht nur geht aus dem Text hervor, dass im Jahr zuvor alle Pfarrer Eislebens, nämlich "das ganze Ministerium", und zusätzlich vier nachgerückte Pastoren an der Pest gestorben sind, zusammen mit 8000 Einwohnern der Stadt, sondern bei der Einsetzung des neuen Pfarrers fiel auch noch die große Glocke aus dem Turm. Dass die durch die schreckliche Epidemie noch verängstigten Menschen fürchteten, das könne böse Vorbedeutung haben, wundert mich nicht. Dass mein Vorfahr aber danach fast alle zwei Jahre ein Kind taufen ließ, insgesamt sieben Mal, erscheint mir als Zeichen des Muts und des Lebenswillens. Die Stadt war durch die Pest entvölkert. Die Überlebenden, und nicht nur das Pastorenehepaar, sahen ihre Aufgabe darin, die Verluste wettzumachen. Nun weiß ich auch, woher Johannes Bender 1682 nach Eisleben kam: Aus Dorf oder Tal Mansfeld. Er ist vorher Archidiacon, d.h. erster Pfarrer an S. Georgen in Mansfeld gewesen. Und von dort hat er wohl auch seine Frau mitgebracht. Denn weder im Kirchenbuch S. Nicolai noch in dem von S. Andreas in Eisleben finde ich die Hochzeit der Benders.

Auch geduldiges Warten zeichnet die Krebse aus. Lange Jahre war es fast unmöglich, an das Kirchenbuch von Mansfeld heranzukommen. So wählte ich einen andern Weg, mehr über meinen Vorfahren Johannes Bender zu erfahren. Es gibt das Pfarrerbuch der Kirchenprovinz Sachsen, eine Kartei, die der Pfarrerverein schon in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts angefangen hat und die heute in der Forschungsstelle für Pietismusforschung in den Francke’schen Stiftungen in Halle mit modernen Mitteln fortgesetzt wird. Ich schrieb 1994 noch an Pfarrer Siegfried Holtzhausen in Eigenrieden und bekam Antwort in Form einer Tabelle, die mir eine Menge Daten einbrachte.

Sehr wichtig war der Hinweis, dass Johannes Bender am 20. 1. 1636 in Leipzig geboren wurde, wobei sogar die Namen der Eltern angegeben sind. Das herauszufinden, hätte ich sicher lange gebraucht. Und auch dass das Sterbedatum des Pfarrers als 3. November 1706 angegeben ist, war mir hilfreich. Totenbücher lesen sich schwer, meist sind sie besonders klein geschrieben und wegen der Unzahl von verstorbenen Kindern sehr umfangreich. Wenn man das Datum weiß, kann man den Eintrag leicht finden. Angegeben ist auch eine erste Ehe am 13. Juli 1668 mit Anna Catharina Hartmann aus Eisleben, Tochter von Jacob Hartmann, Stadtrichter daselbst. Angegeben ist, dass Barbara Dorothea eine geborene Seiler war und Witwe eines Krämers, den sie am 19. 9. 1671 geheiratet hatte, während ihre Ehe mit Bender am 25. 6. 1682 geschlossen wurde. Zu meiner Überraschung finde ich noch eine dritte Ehe Benders mit Anna Catharina Meyer. Von dieser Frau wird nichts weiter erwähnt, als dass sie erst 1720 gestorben ist.

Besonders aufschlussreich ist für mich der Bildungsgang: ordiniert am 6. 12. 1665, von da an bis 1672 Pastor in Ahlsdorf, 1672 bis 1680 Diakon in Mansfeld, 1680 – 1682 Archidiakon in Mansfeld und 1682 – 1706 Pastor in Eisleben/Nicolai.

Ein Höhepunkt für die Forscherin ist der Vermerk: "Bild und Leichenstein in der Kirche".

Schrägläufig nach Art der Krebse merke ich erst spät, dass das Pfarrerbuch sich hauptsächlich auf das älteste Pfarrerbuch der Region, den "Clerus Mansfeldicus" des Joh. Albert Bieringen von 1742 stützt. Darin steht unter Mansfeld: "Johann Bender, Lipsiensis war Anfangs hier Diaconus, darnach auch Archidiaconus An. 1680 und letztlich Pastor zu S. Nicolai in Eisleben 1682."

Unter Eisleben findet sich: "Johann Bender, Lipsiens. natus d. 20. Jan. 1636, war anfangs Pastor in Alsdorf, hernach Archidiaconus zu Mansfeld, und letztens Anno 1682 hier Pastor zu S. Nicolai den 12. Nov. und ging mit Tod ab 1706, den 5. November wie an seinem Bildnis und Leichenstein in der St. Nicolai Kirche zu sehen."

Der Todestag differiert, statt einer 3 eine 5. Da hatte das Pfarrerbuch offenbar eine andere Quelle. Aber der Hinweis auf Bildnis und Leichenstein stammt sicher von Bieringen. Der Clerus Mansfeldicus scheint mir den Weg von Ahlsdorf über Mansfeld an die Nicolai-Kirche in Eisleben als einen Weg nach oben zu betrachten. Dass Bender aus Leipzig stammte, ist ihm bemerkenswert. Darum wende ich mich nun erst einmal der Herkunft meines Vorfahren zu.

Im Kirchlichen Archiv und im Stadtarchiv von Leipzig suche ich nach seiner Abstammung. Ausgehend vom Leben seiner Mutter, konnte ich im Text "Die Städterin" das Ergebnis veröffentlichen, EKKEHARD Neue Folge 8 (2001), Heft 1. Damals habe ich in der Matrikel der Universität Leipzig festgestellt, dass Johannes Bender nicht nur in Leipzig geboren war, sondern dass er auch dort studiert hatte. Vielleicht ist es das, was ihn zum Leipziger stempelte? Die Universität Halle gab es zu Benders Jugendzeit noch nicht, die meisten Eislebener Pastoren hatten wohl in Wittenberg oder Jena studiert.

Der Vorfahr Johannes Bender gewinnt Kontur. Im Dreißigjährigen Krieg als Sohn eines Windenmachers in Leipzig geboren, 1649 immatrikuliert, mit neunundzwanzig Jahren zum Pfarrer ordiniert, in drei Pfarrstellen des Mansfelder Landes tätig, zum Assessor des Konsistoriums mit sechsundvierzig Jahren ernannt, dreimal verheiratet und mit siebzig Jahren verstorben, Leichenstein und Bild in der Kirche S. Nicolai. Das ist doch schon ein tabellarischer Lebenslauf! Schade nur, dass das Dach der Nicolai-Kirche 1972 so schadhaft war, dass man das Gebäude sperren musste. Der Altar, vor dem Bender das Abendmahl gefeiert hat, und der Taufstein, an dem er Kinder taufte, kamen 1974 in die Kirche S. Petri-Pauli. Der Leichenstein und sein Bild verschwanden.

Zum Glück gibt es in der Stadtbibliothek das Buch von Dr. Hermann Größler, die "Inscriptiones Islebienses" von 1883. Darin ist die Grabinschrift meines Vorfahren abgedruckt.

"Johann Benderus Lipsiensis Miscinus, natus Anno MDCXXXVI d. 20. Jan pastor ad D. Nicolai et consistorii Islebiensis assessor, Annae Catharinae Hartmanni, Barbarae Dorotheae Seilerin et Annae Mariae Meyerin foeminarum clarissimarum, maritus, XV liberorum parens, denatus Islebiae d. 3. Nov. Anno MDCCVI. hic sepultus iacet. Ossa eius molliter quiescant."

Das heißt: Johannes Bender, Meißener aus Leipzig, geboren im Jahr 1636 den 20. Januar, Pastor an S. Nicolai und Assessor des Eislebener Konsistoriums, Ehemann sehr angesehener Frauen, (nämlich) der Anna Catharina Hartmann, der Barbara Dorothea Seiler und der Anna Maria Meyer, Vater von 15 Kindern, gestorben in Eisleben den 3. November im Jahr 1706, liegt hier begraben. Mögen seine Gebeine sanft ruhen.

Er blieb der Meißener (wir würden heute sagen: der Sachse!) aus Leipzig, das fiel mir zuerst auf. Dabei hat er sein ganzes Arbeitsleben im Mansfelder Land verbracht! So schwer wird man hier heimisch, dachte ich. Hauptsächlich gewürdigt wird er als Ehemann dreier vortrefflicher Frauen: die erste und die letzte waren aus Eisleben, ich vermutete sofort, dass auch die mittelste, meine Vorfahrin Barbara Dorothea Seiler aus Eisleben stammte. Nichts sagt die Inschrift über meines Vorfahren Amtsführung und Predigtdienst. Das einzige schmückende Beiwort "clarus" = "berühmt, glänzend", gesteigert zum clarissimus = sehr glänzend gilt nicht ihm, dem Akademiker, dem Prediger und Kirchenjuristen, es gilt seinen Frauen! Offenbar war es für die Zeitgenossen vor allem bemerkenswert, dass ein Sachse aus Leipzig sich in Eisleben dreimal so gut verheiraten konnte. Nun, auch mich macht das neugierig! Wie kann ich ihn näher kennen lernen?

Der Krebsgang führte mich, eigentlich wegen anderer Vorfahren, in das Landeshauptarchiv in Magdeburg. Dort fand ich zwar nicht Benders Ordination zum Pfarrer und seine Berufung nach Ahlsdorf, aber seine Berufung nach Thal Mansfeld ist überliefert. Es handelt sich um die so genannte Vocation durch den Kirchenpatron.

LHA Magdeburg, Rep. A 12 a III Nr. 2055:

"Johann George Graff und Herr zu Manßfeldt, Edler Herr zur Heldrungen, Seeburg und Schraplaue

Unsern gnädigen gruß Zuvore, ehrwürdige, Ehrenveste, Hoch und Wohlgelarte Liebe Andächtige und getreue.

Nach dermalen sich daß Diaconat zu Thall Manßfeldt, durch Ehren Paul Scholini anderweitige promotion naher Artern, Verlediget, und wir nunmehro solche Vacanten stelle durch des pastoris zue Allßdorff, Ehren Johann Benderß Person, zu ersetzen unß gnädig entschloßen Alß praesentiren wir vor Unß und in Vollmacht unserer auswertigen Herrn Vettern, Lb Lb Lb, euch ermelten Bendern hiermit gnädig begehrende, Ihr wollet ihm vor gesambten Praesbyterio die Canzel zue St. Andrea in Eißleben zur Prob Predigt öffnen, auch Ihr der Superintendent nebst Unserm gesambten Rath und Lieben getreuen, Ehren Schenk und Fabricius, der Gemeinde zue Thall Manßfeldt vorstellen, darauf die Investitur wie herkommens verrichten und also Ihn zum diacono selbiger Kirche recipiren. An deme geschicht Unsere gnädige meynung, undt wir seyndt Euch mit gnade wohl beygethan Datum Hauß Artern den 19. Xbris 1671

Johann George Gr. M.

Von Unß Und in tringenter Voll macht Unserer Auswärtigen H. Vettern."

Ein ganz normaler Vorgang. Der Diacon Paul Scholinus ist von Mansfeld nach Artern versetzt worden, Johannes Bender bekommt die frei gewordene Stelle. Obwohl der Graf sich "gnädig entschloßen" hat und will, dass seine "gnädige meynung" geschieht, ist er sicher nicht souverän bei dieser Berufung. Im Landeshauptarchiv Magdeburg finden sich nämlich Listen der Kirchenleitung, wo z.B. nach der Pest von 1681 die Möglichkeiten der Neubesetzungen sorgfältig durchgespielt werden. Sicher konnte man sich beim Grafen bewerben, aber der Graf konsultierte das Konsistorium, bevor er seine "gnädige meynung" verkündete. Andererseits hätte Bender gegen den Willen des Grafen keinesfalls Pfarrer in Thal Mansfeld werden können.

Von Johannes Benders eigener Tätigkeit finde ich nur kleine Spuren. Er hat 1691 und 1693 in der Hofkapelle in Artern gepredigt. Es gehörte offenbar zu den Pflichten der Konsistoriums-Mitglieder, reihum dort "Circular-Predigten" zu übernehmen. Aber ich finde keine Predigt von ihm, kein Pamphlet. Einige Entscheidungen des Konsistoriums von Eisleben befinden sich in Magdeburg. Manche sind so genannte Umläufe, d.h. der jeweilige Superintendent umreißt das Problem und bittet die Assessoren, ihr Votum dazu zu setzen. Ein paar Mal hat Johannes Bender Stellung genommen. Ein Fall ist vielleicht interessant: Eine Dorothea Faschin bittet 1685, nach einer Kirchenstrafe wieder zum Heiligen Abendmahl zugelassen zu werden. Der Superintendent Rösner befürwortet das. Johannes Bender schreibt dazu: "Ich habe schon für die F. votiret, daß dieselbe vom H. Abendmahl nicht soll abgehalten werden, id quod repeto meum votum (also wiederhole ich hiermit mein Votum) J. B." Tatsächlich hat Bender schon am 18. Juli 1683 nach dem ersten Brief der Frau Faschin geschrieben: "Ich sehe nicht, warum man beklagte nicht ad Sacram Coenam admittiren (zum Heiligen Mahl zulassen) wolte…" und begründet das auch, zitiert sogar Literatur. Damals hat er sich offenbar mit seiner freundlichen Haltung nicht durchsetzen können, nun endlich sind auch die andern so weit, seine Meinung zu teilen. Kurz vor seinem Tod schreibt er 1706 unter eine Berufungsurkunde des jüngeren Nicander: "Vergant omnia in gloriam Dei et animarum salutem. J. B." nämlich: "Es wende sich alles zu Gottes Ehre und zum Heil der Seelen" – ein mildes Votum, dass vielleicht auch Müdigkeit andeutet. Wie die meisten meiner Vorfahren im Pfarramt war er offenbar angepasst und verträglich. Seine Zeitgenossen meinten vielleicht genau das, wenn sie auf seinen Grabstein schrieben, dass er der Ehemann dreier vortrefflicher Frauen und Vater von 15 Kindern gewesen sei.

Sein Begräbniseintrag im Kirchenbuch S. Nicolai in Eisleben ist schlicht: "d. 11. Nov. 1706 ist HE Johann Bender Past. allhier zu Nic. und Assessor des Hochgräffl. Manßfeldt. Consist. mit solennen funeralien in gedachter Kirche begraben worden. H- E. General Superint. hielt die Leichen Pr. ex cap. 61 v. 8 Jesaiae, die Abdanckung ego, Diac. W. (Wolff)."

Der Vers 8 im 61. Kapitel des Propheten Jesaja lautet: "Ich freue mich im Herrn, und meine Seele ist fröhlich in meinem Gott, denn er hat mich angezogen mit Kleidern des Heils und mit dem Rock der Gerechtigkeit gekleidet, wie einen Bräutigam, mit priesterlichem Schmuck geziert, und wie eine Braut, die in ihrem Geschmeide prangt."

Das erinnert mich natürlich an die drei Hochzeiten von Johannes Bender. Die ewige Seligkeit wird zur himmlischen Hochzeit. Gott selbst bekleidet die Seele, die einmal als Bräutigam, einmal als Braut erscheint, mit Heil und Gerechtigkeit und sie freut sich. Der General-Superintendent ist immer noch Ehrenfried Dürr. Ob Dürr auch die Leichenpredigt auf Barbara Dorothea gehalten hat? Ihre Beerdigung hat im gleichen Jahr stattgefunden, aber zehn Monate früher: "d. 18. Jan. starb Fr. Barbara Dorothea Benderin gebohrene Seilern (Tit) Hn Joh. Benderus Past. Nic & C. A. treu gewesene Eheliebste, wurde den 24. huj. bey sehr volckr. Versammlung mit dem gantzen Ministerio zur Erden bestattet Text: Conc. fun. defunci ex y 116 V. 7 & 9 mâa parent. Job 7 v. 3.4."

Psalm 116 wird heute noch gern bei Beerdigungen gebetet: "Sei nun zufrieden, meine Seele; denn der Herr tut dir Gutes. Ich werde wandeln vor dem Herrn im Lande der Lebendigen." Die Parentation war wohl immer mehr der Klage gewidmet. Deswegen wird sie über die Verse 3 und 4 aus dem Hiobbuch Kapitel 7 genommen, wo es heißt: "Also habe ich wohl ganze Monde vergeblich gearbeitet, und elender Nächte sind mir viel worden. Wenn ich mich legte, sprach ich: Wann werde ich aufstehen? Und der Abend ward mir lang; ich wälzte mich und wurde des satt bis zur Dämmerung." Ob ich daraus schließen soll, dass sie lange krank lag, die Pastorenfrau? Oder spielt der Text auf ihr mühsames Frauenleben an? Sie wird Benders treu gewesene Eheliebste genannt und doch hat er trotz seines fortgeschrittenen Alters gleich wieder geheiratet!

Der Traueintrag dieser dritten Eheschließung lautet: "den 3. Aug. 1706 Ist (Tit) H. Johann Bender Pastor allhier zu St. Nicolai und C. A. mit Fr. Anna Maria Schäfferin in der Pastoratswohnung Christl. copuliret worden, des Sonntags vorher np. Dom. 9. Trin. geschahe auf der Cantzel ein Christl. vorbitten vor diesen Eheleuten; die copulation geschahe durch mich den ander H. Diac."

Anna Maria war also ebenfalls Witwe, denn nach der Inschrift auf dem Leichenstein ist sie eine geborene Meyer gewesen. Dass sie im Pfarrerbuch Anna Catharina heißt, ist offensichtlich ein Fehler. Sie ist nur wenige Monate Benders Frau gewesen. Sehr wahrscheinlich war er schon krank, und sie hat ihn pflegen müssen.

Nicht jeden Umweg meines seitwärts ausscherenden Suchens will ich darstellen. Sicher wollte ich von Anfang an mehr wissen über seine zweite Frau Barbara Dorothea Seiler, meine Vorfahrin, die vorher die "Witwe des Johannes Schorenberger (?), Bürger und Krämer in Mansfeld" gewesen war. Den Krämer hatte sie laut der Pfarrer-Kartei am 19. 9. 1671 geheiratet, meinen Vorfahren Bender am 25. 6. 1682. Beide Hochzeiten sollten in Mansfeld stattgefunden haben.

Ich schrieb also nach Mansfeld und erhielt die Antwort, dass man die zweite Trauung nicht habe finden können, aber von der ersten schickte man mir eine zwar leicht verstümmelte und schlecht übersetzte, für mich aber doch wichtige Abschrift. Nun, nach eigenem Augenschein verbessert, heißt es wörtlich im Kirchenbuch S. Georgen von Mansfeld:

"1671

Dienstag nach dem XIII. Trinit: war der 19. Sept. H. Johannes Scherrenberger, Bürger undt Kramer alhier, mit J. Barbara-Dorothea Seilers, mea H. Joh. Seilers Archidiac: filia nata maxima. Faustum felixq’ sit eorum conjugium. Pronubi: Rev. pt. Vir Dn. Johannes Rösner, Dec. gralis Dn Paulus Scholinus, Diac. geschach eine Brautpredigt"

Also eine Pfarrerstochter war sie, meine Vorfahrin Barbara Dorothea! Johann Seiler, der 1. Pfarrer an St. Georgen in Mansfeld, war ihr Vater. Das Pfarrerbuch verrät mir dann, dass dieser Vater seinerseits Sohn eines Eislebener Pfarrers war, verheiratet mit einer Tochter des Stadtvogts Johann Mörder. Tatsächlich ist also Barbara Dorothea Seiler eine "foemina clarissima" aus Eisleben, wie ich schon vermutet habe.

Der Archidiacon Johannes Seiler trägt persönlich die Copulation seiner Tochter mit dem Krämer ins Kirchenbuch von Mansfeld ein: "mea filia nata maxima" – "meine erstgeborene Tochter" und gibt seinem väterlichen Wunsch Ausdruck: Faustum felixq’ sit eorum conjugium. "Möge beider Ehe glücklich sein", wobei "faustum" durchaus auch "fruchtbar" meint. Zukünftiger Kindersegen ist erwünscht. Die Trauzeugen sind des Vaters Kollegen: Der Generaldecan Johannes Rösner und der Diacon Paulus Scholinus.

Scholinus ist es, der kurz darauf nach Artern versetzt wird und damit seine Stelle an S. Georgen freimacht für Johannes Bender. Anfang 1672 zieht mein Vorfahr mit Frau und Kind aus Ahlsdorf nach Mansfeld. Sicher lernt er bald die Scherrenbergers kennen. Mansfeld ist ein kleiner Ort. Es wird nicht viele Krämer geben. Die Pfarrerfamilien werden beim Krämer einkaufen, die Pfarrerstochter wird ihre Eltern besuchen. So gehen acht Jahre ins Land, in denen Johannes Seiler und Johannes Bender gemeinsam an S. Georgen ihren Pfarrdienst versehen, in denen Benders, Seilers und Scherrenbergers Kinder taufen lassen. Am 27. Januar 1680 stirbt Johannes Seiler, 60 Jahre alt. Johannes Bender rückt zum Archidiakon auf, ein neuer Diakon wird berufen. Noch wissen die Menschen in Mansfeld nicht, was auf sie alle zukommt. Für mich als Nachkommen fallen Würfel: Wäre 1681 nicht die Pestepidemie gewesen, wären der Pfarrer Johannes Bender aus Leipzig und die Pfarrerstochter Barbara Dorothea Seiler aus Eisleben wohl kaum meine Vorfahren geworden!

Eigentlich bin ich nun ganz gut unterrichtet über Johannes Bender. Trotzdem bin ich unzufrieden. Die Akten des Mansfeldischen Konsistoriums sind nur teilweise in Magdeburg, die meisten sollen sich in der Turmbibliothek in Eisleben befinden. Einmal, nur ein einziges Mal gelingt es mir, 1997 eine der Assistentinnen im Kirchenbucharchiv von Luthers Sterbehaus zu bewegen, mit mir in den Turm von St. Andreas hinaufzusteigen, aber nur ganz kurz! Der Eindruck ist überwältigend, sowohl was den düsteren Raum unterm Gebälk anbelangt als auch die Menge des dort gelagerten Materials. Was ließe sich hier forschen! Inhaltliche Register stehen mir nicht zur Verfügung, ich kann mich nur nach Jahreszahlen richten. Ich greife in ein Fach der 90er Jahre des 17. Jahrhunderts und werde sofort fündig: die Unterschrift meines Vorfahren unter drei beieinander liegenden Briefen! Ohne den Inhalt zu prüfen, bitte ich um Kopien. Und erhalte drei Selbstzeugnisse des Mannes, dessen Lebenslauf ich nun schon gut aus fremden Quellen kenne.

Wieder geht es im Krebsgang. Denn diese drei Briefe haben nichts oder nur sehr wenig mit Benders Amtspflichten zu tun. Es sind die Briefe eines Ehemannes, der die geschäftlichen Dinge seiner Familie zu regeln versucht. Johannes Bender hat seit 1682 ein familiäres Problem: der erste Mann seiner Ehefrau, der Krämer Scherrenberger, hat Schulden hinterlassen, d.h. er hat von einem Kaufmann Heinrich Wilhelm Tacke in Quedlinburg "Kramwaren" bezogen, die wahrscheinlich mit Terminen bezahlt werden sollten. Darüber ist er an der Pest gestorben. Was aus den Waren geworden ist, kann ich nicht wissen - vielleicht hat die Witwe den ganzen Laden mit allem, was drin war, verkauft, als sie den Pfarrer heiratete? Da herrschte sicher Verwirrung und Aufregung in ihrer beider Leben. Warum den Benders die Forderung Tackes an sie als unrechtmäßig erscheint, weiß ich auch nicht. Offenbar hat Frau Bender Geld - zumindest Außenstände hat sie, und auf die will Tacke Hand legen, um sich bezahlt zu machen. Dagegen wehrt sich Bender als Curator, das heißt als juristischer Vertreter seiner Frau energisch. Und ein nach Meinung einer Kennerin der Mansfelder Geschichte, der Historikerin Professor Schwarze-Neuß, typisches Problem des Mansfelder Landes tritt aus diesem Rechtshandel hervor: der Kompetenzenstreit der unteren Gerichtsbarkeit. Der Quedlinburger Kaufmann hat den Rat von Hettstedt zum Gerichtsort erklärt. Der Rat von Hettstedt fordert also Frau Bender auf, vor ihm zu erscheinen, anfangs zu "gütlicher Handlung", was doch nach Kompromiss aussieht. Aber die Benders sind empört. Als Geistlichem und Eislebener hat der Rat von Hettstedt ihm "nichts zu befehlen". Sein zuständiges Gericht ist das Gräflich Mansfeldische Konsistorium! In diesem Sinne hat Johannes sich auch an das Sächsische Oberaufseheramt in Eisleben gewandt. Und macht eine Prinzipienfrage daraus, ob das Konsistorium sich gefallen lassen will, dass in seine Zuständigkeiten eingegriffen wird, droht, es werde sonst zum Präzedenzfall werden. Dass es tatsächlich ein Präzedenzfall war oder hätte sein können - dem verdanke ich wahrscheinlich, dass diese Briefe über ein privates Problem 300 Jahre lang aufgehoben wurden! Vielleicht mögen auch Sie, geehrte Leser des EKKEHARD, diese Briefe lesen? Sonst überschlagen Sie einfach meine Abschriften!

Der erste Brief: präsentirt den 23. Augusti, Anno 1682

Eißleben

Hochwürdiger, wohlEdle,Veste,Wohl Ehrwürdige, Hochachtbare, Hohe und Hochwohlgelehrte Herren,

Präses und Assessores, Großgünstige HochgeEhrte Patroni, hochgeneigte Förderer

Nechst vorstellung meines andächtigen Gebets und bereitschuldigster Dinste ist dieses, warumb Ew. HochEhrw. Hochachtbare Herrlichkeiten müßigen muß. Gebe hiemit einem HochEhrw. Consistorio bester maßen zu verstehn, wie daß mein Eheweib Fr. Barbara Dorothea gebohrene Seilerin eines Curatoris von nöthen hat, und sie gerne sehe, daß ich, als ihr Ehemann dazu constituiret würde. Als gelanget an Ew. HochEhrw. Hochachtbare Herrlichkeiten mein dinstf. bitten, Sie wollen mir doch diesen großen gefallen erweisen, und geschehen laßen, daß doch heute nach mittage von dem Hn General Superintendenten ich dazu möchte confirmiret werden. Zumahl, weil ich deswegen nacher Eißleben gereyset, auch itzo mein Eheweib zugegen. Es ist ihnen auch selbsten bester maßen bewust, daß ich Ambts halber nicht allezeit abkommen kann, auch mir es beschwerlicher fallen dürfte den weg öfters zureysen. Kann umb ein HochEhrw. Consistorium ich etw. wieder verschulden, werde ich es nicht unterlaßen. Wie denn auch nechst empfelung göttl. protection verbleibe

                                                            Ew. HochEhrw. Hochachtb.Herrlichkeit iederzeit

Manßfeld, d. 23. Augusti                                      gebets und dinstschuldigster

Ao 1682                                                               Johannes Bender, Archidiac.

Der zweite Brief: präsentirt den 10. Juni Anno 1684. Eißleben

HochEhrwürdige, WohlEdle, Veste, Hochachtbare und Hochgelarte insonders HochgeEhrte Hn Präses und Assessores

Hochgeneigte Förderer

Es werden Ew. Hochachtbarer Herrlichkeiten aus der beylage ersehen, wes der Rath zu Hettstedt sich unternommen und meinem Eheweib eine Citation zugeschicket, daß Sie vor demselben nechstkünftigen 7 Juliy erscheinen solle und mit Heinrich Wilhelm Tacke von Quedlinburg gütliche Handlung pflegen solle, weil ihr voriger Ehemann, Herr Johann Scheerenberg seel. vor Kramwahren Ihme etwas schuldig blieb, und bezahlt seyn will. Nun ist mir diese Citation sehr befremdent vorkommen, und von dem Rath zu Hettstedt weder Mir noch meinem Weibe nichts zu befehlen, und solche immediatam citationem an mein Eheweib abgehen zu laßen, sich unterstehen darf. Weil denn in die iura ecclesiastica ein zimmlicher eingriff geschieht ich auch solches nicht verschweigen kann, habe ich billich solches an ein Wohllöbl. Consistorium denunciren sollen, nechst dinstfr. bitte mir förderlichst an die hand zu gehen, und beyräthig zu seyn, wie ich mich in dieser sache verhalten soll. Solches erkenne ich mit schuldigstem Dank, verbleibende Empfehlung göttlicher Obhut

                                                                                Ew. Hochachtb. Herrlichk.

Eißleben, 10. Juniy                                                    gebets- und dinstbeflißenster

Ao 1684

                                                                                    Johannes Bender P.

Der dritte Brief:

Zum Gräffl. Manßfeldt. Consistorio HochVerordnete Präses und Assessores,

HochEhrwürdiger, HochEdle, Veste, WohlEhrwürdige GroßAchtbahre und Hochgelahrte, Insonders Großgünstige Hoch und Vielgeehrte Herren

Denenselben kann nicht Verhalten, welcher gestalt H. Heinrich Wilhelm Tacke zu Quedlinburgk mein Eheweib nicht allein einer Vermeinten SchuldForderung halber Vor den Rath zu Hettstedt zu actioniren suchet, sondern auch bloß zu dem Ende durch denselben ihre zustehende Gelder allda Vermittelst eines wieder die Auszahlung an ihren debitorem ausgewürcktes Verboth wieder Rechtlich sequestriren zu laßen. Ich habe aber soViel die sequestrirten Gelder betrifft beym Churfürstlich Sächßisch. Hochlöbl. Oberauffseher Ampte der Graffschafft Manßfeldt über gedachten Rath mich beschweret in Hoffnung die Cassation des Verboths unfehlbar zu erhalten in dem ich die Wahren Jura

L. un C. de prohibita sequestrat. pecuniae Vor mir habe, und weil im übrigen es an dem, daß ich Kundtbahrlich in hiesigem ministerio mich befinde und ein Assessor des Gräffl. Manßfeldtsch. consistoriy binn so soll ich mit meiner familie billig eben daßjenige privilegium, so meine Herren Collegen und andere Geistliche Pershonen ratione fori haben, mit genießen, gleich wie ich erböthig binn, daß mein Eheweib Niemand, der beständig etwas an ihr zu praetendiren Vermeinet, Vor E. HochEhrwürdigen Consistorio im geringsten entstehen soll. Diesem nach gehöret gedachten Herrn Tackens Vermeinte Klag Sache keines wegens vor den Rath zu Hedtstedt, und wollte hiernegst E. Hochehrwürd. Consistorio selbst höchst nachtheilig seyn, dafern gedachten Rath nachgesehen würde, dergleichen Personal Sachen wieder Geistliche Pershonen anzunehmen, und darinnen zu verfahren. Wenn denn nuhn meines Eheweibs dißfalls entstehende Exceptio dedinatoria fori ohne diß per modum appellationis in wohlgedachten Oberauffseher Ampt ietzo ventiliret wird, und Vermuthlich nicht von solchem Nachdrucke seyn dürffte, als wenn E. HochEhrwürdiges Consistorium zugleich die Nothdurfft wegen Beybehaltung der ihnen selbst competizenden Cognition in causis Curicorum dahin gelangen laßen. So habe aber das Vertrauen, mann werde bey solcher Bewandtnüß alle nöthige Mittel herfür suchen, damit der Geistlichen Instantz kein Eintragk geschehe.An meine Hoch und Vielgeehrte Herren ergeht deswegen ein gantz dienstf. Suchen und Bitten, Sie geruhen mehr gedachten Oberauffseher Ampte zulängliche remonstration zuthun, daß erwehnter Tacke nicht allein mit seiner Vermeinten KlagSache an E. HochEhrw. Consistorium Verwießen, sondern auch die zu bloßer Hintergehung meines hochwohlgedachten Consistorio habenden Instantz abgesehene, und an sich selbst zu recht verbotener Sequestratio pecuniae schleunig cassiret werden möge.Ich getröste mich gewißer deferirung meines Suchens und Verharre

                                                                         Meiner Hoch und Vielgeehrten Herren

Eißleben d. 27 Septembr.

1687                                                                                     allezeit

                                                                                Gebets und dienstwilligster

                                                                                      Johannes Bender P.

Gar nicht so friedfertig und harmoniesüchtig erlebe ich meinen Vorfahren hier. Zwar lesen sich seine Briefe flüssig, die Handschrift ist sauber, er beherrscht den barocken Duktus und die lateinischen Termini fügt er so geschickt ein, dass sie zur Zierde werden. Aber er macht doch sehr deutlich, dass er nicht geneigt ist, sich die Butter vom Brote nehmen zu lassen. Es geht ums Geld. Dem Konsistorium gegenüber, dem er selbst als Assessor angehört, ist er "allezeit gebets und dienstwilligst" – dafür sollen die "hoch und vielgeehrten Herren" seine Interessen als die ihren betrachten. Johannes Bender erscheint mir als barocker Mensch, der bei aller Zielstrebigkeit die Form zu wahren weiß.

Was aus der Sache, dem Prozess um die Scherrenberger Schulden, geworden ist, ist mir nicht bekannt. Die Akten des Oberamtes Eisleben müsste ich daraufhin durchsuchen. Auch in Ratsakten von Hettstedt könnte sich etwas finden. Doch würde das zum Bild meines Vorfahren nicht mehr viel beitragen.

Mehr erhoffte ich mir immer von seinem Bildnis in der Kirche S. Nicolai, erwähnt im Clerus Mansfeldicus 1742, bei Hermann Größler 1883 und im Pfarrerbuch der Kirchenprovinz Sachsen im 20. Jahrhundert. Und ich wurde nicht enttäuscht. Als ich in einer Pause zwischen meinen Kirchenbuchstudien im Jugendstilpfarrhaus Freistraße 21 in Eisleben einmal durch den Flur gehe, fällt mein Blick auf ein sehr großes Gemälde, das in einem Wohnhaus, wenn überhaupt dann nur dort, an der hohen Wand gegenüber der Treppe, Platz finden kann.

Ich traue meinen Augen nicht: "Johannes Benderus Lipsiens Misnicus Pastor ad S. Nicolai et Consistorii Mansfeldensis Assesor gravissimus. Natus d. 20. Jan. 1636 Denatus 1706 den 3. November" steht neben dem Kopf des Pfarrherrn. Hier hat er doch als Assessor ein schmückendes Epitheton: "gravissimus" = "sehr gewichtig, einflussreich"! Abgebildet ist er im schwarzen langen Talar mit Bäffchen und auf die Schultern fallender gelockter blonder Perücke. Seine linke Hand hält die Bibel, während die Rechte lehrend erhoben ist. Sein Gesicht ist viereckig, hellhäutig, er hat volle Lippen, die Nase ist lang und an der Spitze ein wenig verdickt, die Augen sind blau und blicken unter schweren Lidern seitlich den Betrachter an. Das Gemälde ist in keinem guten Zustand, bestaubt, beschädigt. Der Maler war sicher nicht bedeutend. Aber für mich ist es wunderbar, weil dieser Mann, der mich da von der Seite her skeptisch anschaut, mein Vorfahr ist und weil ich mich jetzt schon so lange mit ihm beschäftige. Rechts von der riesigen schwarzen Gestalt steht eine Kniebank oder ein kleiner Altar, auf dem ein Kruzifix leuchtet, das einen Totenkopf zu Füßen hat: Jesus als Bezwinger der Todesangst. Daneben sind die Anfangsworte eines Gebets zu erkennen: "Jesu Beati" entziffere ich mit Mühe. Welchen Gebetstext mag Johannes Bender auf sein Portrait haben setzen lassen?

Genealogen, die wie ich den Krebsgang üben, werden verständnisvoll lächeln, wenn ich mir eingestehen muss, dass ich meinen Vorfahren niemals kennen werde. Mehrmals kreuzt meine Suche seinen Lebensweg, er ist mir sogar im Bild erschienen, aber er entzieht sich. Zwar kann ich am Tag des Offenen Denkmals im September 2003 endlich die S. Nicolai-Kirche in Eisleben, deren Pastor er von 1682 – 1706 war, von innen betrachten. Die Vorsitzende des Kuratoriums St. Nicolai e. V., die sich mit Lebhaftigkeit für die Wiederherstellung des würdigen Raumes einsetzt, erlaubt mir sogar, von der brüchigen Empore aus ein Foto zu machen. In S. Petri-Pauli kann ich unter der kundigen Führung von Frau Prohl den Altar sehen, vor dem Johannes Bender so oft den Gottesdienst gefeiert hat. Ich bestaune die goldenen Heiligen und mich rührt die Anbetung der Weisen vor dem Kinde in der Predella. Mit gewinnender Begeisterung zeigt mir Frau Siegel die Kirche S. Georgen in Mansfeld, in der Bender von 1672 – 1681 tätig war. Altar, Kanzel, Taufbecken – alles scheint unversehrt am Ort wie vor mehr als 300 Jahren, ganz so, als könnte Johannes Bender plötzlich herein treten. Aber er erscheint nicht.

Ganz nebenbei erzählt mir Frau Siegel, dass ein neuer Pfarrer am nächsten Sonntag in sein Amt in Mansfeld eingeführt werde. Ich eile zum Pfarrhaus und mache gleich einen Termin aus. Endlich kann ich das Kirchenbuch von Mansfeld selbst in die Hand nehmen. Ich überzeuge mich, dass Johannes Bender die Pfarrerstochter Barbara Dorothea Seiler nicht in Mansfeld geheiratet hat. Den Eintrag der Ehe von Barbara Dorothea mit ihrem ersten Mann berichtige ich und suche die Sterbeeinträge der jeweils ersten Ehegatten heraus. Tatsächlich sind meine beiden Vorfahren innerhalb eines Monats verwitwet. Am 12. August 1681 wurde "Anna Catharina gebohrene Hartmannin aus Eißleben, mea proh dolor. Johann Benderi Archi diaconi ux." begraben und am "10. Sept. H. Johan Scherrenberg". Vier Kinder Scherrenberg und drei Kinder Bender starben in dieser schlimmen Zeit, dazu Geschwister von Barbara Dorothea Seiler, die zum Teil bei ihr im Hause lebten.

Auf einem freien Rand unter den Begräbniszeilen finde ich noch einmal die Handschrift meines Vorfahren. Leider kann ich den Text nicht vollständig entziffern, die Schrift ist wegen des engen Platzes sehr klein, die mir gewährte Zeit ist um und die Kirchenälteste, die die Bücher beaufsichtigt, drängt zum Aufbruch. Wenigstens so viel kann ich noch abschreiben:

"In diesem Jahr sind gestorben sechshundert und etliche siebenzig Personen." Es folgt die Behauptung, dass diese Epidemie auch nach Aussagen sehr alter Leute viel schlimmer war als die letzte von 1626. "… Ich an meinem orte habe es zur genüge erfahren. Erst weiß ich es was ich ausgestanden. Doch sage ich dem Allerhöchsten Dank, vor verliehene gedult, kräfte und gesundheit … behielt aber drei Kinder, meinen ältesten Sohn und die beiden Kleinsten, mit diesen musste ich mich ohne dienstboten elendiglich behelffen und dabei viel ausstehen. … in perpetuam memoriam scripsit…. Dn. Johannes Bender Archi Diac. postea Pastor Isleb. Ad. D. Nicolai." Der älteste Sohn Johann Christoph, noch in Ahlsdorf geboren, war damals zwölf Jahre alt, die beiden Zwillinge gerade einjährig.

Bender war schon Pfarrer in Eisleben, als er diese Zeilen nachtrug. Als Mitglied des Konsistoriums ist er vielleicht nach Mansfeld gekommen anlässlich einer Gastpredigt oder Pfarrereinführung. "Erst weiß ich es was ich ausgestanden." Als er dies schrieb, war er längst mit Barbara Dorothea verheiratet, verfügte selbstverständlich über Dienstboten, neue Kinder waren ihm geboren worden. Er konnte Gott danken für "Geduld, Kräfte, Gesundheit" – in dieser Reihenfolge. Es blieb aber ein tiefer Schrecken zurück. Vielleicht in Abwehr dieses Schreckens hat er sich sechs Monate nach dem Tod seiner zweiten Frau ein drittes Mal verheiratet. Einen Versuch geistlicher Bewältigung hingegen stellt der Kruzifixus über dem Totenkopf auf meines Vorfahren Portrait dar. Johannes Bender suchte gegen die Todesangst sowohl den irdischen als auch den himmlischen Trost. Und da schaut er mir über die Schulter.

 

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