Unsere Urgroßeltern

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Merkwürdigerweise hätten zwei Paare unserer Urgroßeltern sich beim Nachmittagsspaziergang in den Straßen von Berlin-Wilmersdorf zwischen 1915 und 1920 durchaus begegnen können. Wahrscheinlich hätten die einen, der Generalleutnant Hermann Behn und seine Frau Martha, die andern, den Eisenbahn-Hauptkassenrendanten Heinrich Eberhardt mit seiner Frau Johanna, nicht standesgemäß gefunden. Aber beide Paare wohnten in geräumigen Mietwohnungen, die Behns in der Nassauischen Str. 5 und die Eberhardts in der Weimarischen Str. 20. Ihre Gewohnheiten waren bürgerlich und beiden war im Krieg ein geliebter Sohn gefallen. Beide hatten insgesamt mit dem Kaiserreich viel Geld verloren.

Die Behns fühlten sich als Berliner, sie hatten seit der Pensionierung von Hermann im Jahr 1906 immer dort gelebt. Sie waren Preußen durch und durch. Doch war Martha in Königsberg und Hermann in Trier geboren. Die Eberhardts hingegen zog es von Berlin zurück an den Rhein, wo sie ihre ersten Ehejahre verbracht hatten, wo die meisten ihrer Kinder lebten: unsere Großmutter von Mering mit Mann Carl, Tante Else Eberhardt, Tante Hanna Wentzel mit Mann Otto und Tante Hede Eberhardt. Dass Tante Trude mit ihrem Mann Otto Schumann in Berlin lebte, zählte anscheinend nicht so viel. Sohn Otto Eberhardt lebte mit seiner Frau Clara in Detmold – das zählte erst recht nicht. Dass die Urgroßeltern Eberhardt so rheinisch fühlten, ist eigentlich erstaunlich. Denn beide stammten aus Mitteldeutschland, Heinrich aus Arnstadt in Thüringen, Johanna aus Oberröblingen am See im Mansfelder Land. Aber soweit ich weiß, fühlten sich beide als Kölner.

Die andern beiden Urgroßelternpaare hatten keinerlei Verbindung zu diesen beiden. Auch waren sie bis auf die Urgroßmutter Philippine von Mering in den Jahren 1915 bis 1920 nicht mehr am Leben. Urgroßvater Peter von Mering, Figurist, der sich Fabrikant nannte, weil er Stuckornamente vorfertigte und nach Katalog verkaufte, war 1901 in Köln-Ehrenfeld verstorben. Philippine lebte seither als Witwe bei ihrer verheirateten Tochter Grete, seit 1912 bei ihrem Sohn Carl, unserm Großvater väterlicherseits.

Urgroßvater Otto Liebert war schon 1897 verstorben, in Guhrau, einer kleinen Stadt in Niederschlesien, in der er sich 1868 so glücklich verheiratet hatte. Er war als mittelloser junger Kaufmann aus Lissa/Posen an die reiche und tüchtige Emma Saur, eine Müllerstochter in Guhrau, geraten. Als sie ihm 1880 starb, war er tief verzweifelt. Aber er konnte drei Jahre später noch einmal Glück erleben. Julie Sonntag, ebenfalls tüchtig und wohlhabend, heiratete den Witwer mit seinen drei lebenden Kindern und gebar ihm noch drei weitere. Diese Stiefmutter unseres Großvaters bildete noch lange den geliebten Mittelpunkt der Familie Liebert in Schlesien. Unsere Mutter und unsere Tante zogen diese Stiefgroßmutter bei weitem ihrer echten Großmutter Behn in Berlin vor. Unser Vater wiederum schätzte seine wohlhabende und praktische Großmutter Eberhardt, die Pfarrerstochter, mehr als die leidende und verarmte Großmutter von Mering, Tochter eines Glasers.

Unserer Eltern Großeltern sind bis auf den Fabrikanten von Mering zeitweilig recht wohlhabende Leute gewesen. Den Behns, den Eberhardts und den Lieberts hatten die Gründerjahre genutzt, den Behns sogar in gewisser Hinsicht der Erste Weltkrieg. Hermann Behn war im Krieg als Inspekteur "wieder verwendet" worden und wurde 1917 nicht mehr nur als Generalmajor, sondern als Generalleutnant pensioniert. Heinrich Eberhardt starb 1928 in Köln, Hermann Behn 1932 in Berlin. Martha Behn folgte ihrem Mann 1937, Johanna Eberhardt lebte noch bis 1944. Die Großmütter Behn und Eberhard, die Stiefgroßmutter Liebert erfuhren noch, dass unsere Eltern Ruth und Eberhard sich liebten. Philippine von Mering hingegen war schon 1926 gestorben. Die Großmütter Eberhardt und Liebert nahmen an der Liebe ihrer Enkel sogar innigen Anteil. Unsere Mutter erzählt, dass Eberhard und sie, wenn sie als Braut in Köln zu Besuch war, jedes Mal im Zugweg 12 zu einem schönen Essen eingeladen wurden und oft anschließend zwei Theaterkarten erhielten. Und auf ihrer immer wieder erzählten Verlobungsreise nach Schlesien waren sie zwar zu Gast bei Ruths reicher Tante Meta Spohn, geb. Liebert, aber auch bei Julie Liebert hochwillkommen.

Die Urgroßmutter väterlicherseits Johanna Eberhardt, geborene Liebscher, habe sogar ich noch gesehen, als ich 1942 vierjährig zusammen mit meinem Vater meine Großeltern in Köln besuchte. Sie machte als Hochbetagte keinen besonderen Eindruck auf das Kind. Im Gegenteil, dass sie den Samt bezogenen Schemel, den ich als Sitzplatz schätzte, unter ihre Füße geschoben bekam, erregte mein Missfallen. Um sie kennen zu lernen, war ich noch zu klein.

Der Einfluss der Großeltern Eberhardt auf die beiden Enkel Clara und Eberhard von Mering war größer als der Einfluss der von Merings. Die Herzen der Enkeltöchter Ruth und Ursula Liebert neigten zu den Lieberts in Schlesien mehr als zu den Behns in Berlin. Das ist wichtig. Es wird nicht nur um die Weitergabe von Genen gekämpft, wie wir wissen: auch die Weitergabe der Einstellung zum Leben liegt dem Menschen am Herzen.

Nach meinen Urgroßeltern benenne ich die Familienstämme. Deshalb sind es acht: Väterlicherseits die Merings, die Allendorfs, die Eberhardts, die Liebschers, mütterlicherseits die Lieberts, die Saurs, die Behns, die Ehlerts. Die Vorfahren meines Vaters finden sich von Lothringen bis Sachsen, die Vorfahren meiner Mutter sind zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert östlich der Oder zu Hause: Leszno/Polen, Kobylin/Polen, Guhrau/Schlesien, Bromberg/Westpreußen, Torun/Polen, Rastenburg/Ostpreußen, Königsberg/Ostpreußen. Das ist ein großer Unterschied für die Erforschung. Die Archive zur Genealogie meines Vaters liegen bis auf Metz auf heute deutschem Gebiet und sind in deutscher Sprache erschlossen. Heimatvereine und Genealogen unterhalten deutschsprachige Zeitschriften, in denen ich publizieren kann. Die Archive zur Genealogie meiner Mutter liegen im heutigen Polen, sie werden jetzt allmählich für mich zugänglich. Aber die Regionalforscher, die sie erschließen, schreiben polnisch. Meine auf Deutsch erzählten Geschichten können in der Region nicht veröffentlicht werden. Für sie hauptsächlich muss ich eine Internetseite eröffnen.

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